Der sächsische Inlandsgeheimdienst mischt sich in politische Fragen an der Universität Leipzig ein

Der interventionistische Verfassungsschutz

Ein linkes Bündnis erhebt den Vorwurf, der Landesverfassungsschutz habe Druck auf die Universität Leipzig ausgeübt, um Veranstaltungen zu verhindern. Die Hochschule bestätigt, dass es ein Treffen gab.

Wenn das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz in den kommenden Wochen seinen Bericht für das Jahr 2018 präsentiert, wird das bei Linken wohl wieder für ungläubiges Staunen und hämische Kommentare sorgen. Zu oft fanden sich in den Berichten der vergangenen Jahre allerlei Merkwürdigkeiten: etwa die Bezeichnung der Ausschreitungen von Neonazis im linksalternativen Leipzig-Connewitz als »Versammlung« und die Beobachtung einer Gruppe namens »New Kids Antifa Leipzig«, die außer sieben Facebook-Fans kaum jemand kannte. Dass die Einschätzungen der Behörde aber nicht nur amüsant, sondern auch folgenreich sein können, zeigte sich im vergangenen Herbst.

Rico Gebhardt, der Fraktions­vorsitzende der Linkspartei im sächsischen Landtag, äußerte den Verdacht, dass »mit verfassungs­dienstlichen Mitteln die Universitäten« ausgespäht werden.

Zu Beginn des Wintersemesters organisierten die Initiatoren der »Kritischen Einführungswochen« (KEW) an der Universität Leipzig zum siebten Mal zahlreiche Veranstaltungen zu Themen wie Kapitalismus, Rassismus, ­Feminismus und Bildung. An dem linken KEW-Bündnis sind neben Nachwuchsorganisationen politischer Parteien und mehreren Hochschulgruppen auch zahlreiche außeruniversitäre Initiativen aus Bereichen wie dem ­Antifaschismus und der Flüchtlingshilfe beteiligt. Zu Letzteren zählen die »Anarchosyndikalistische Jugend Leipzig« (ASJL) und »Prisma«, die Ortsgruppe der »Interventionistischen Linken« (IL). Beide werden vom sächsischen Verfassungsschutz beobachtet – der offenbar deswegen ein Gespräch mit der Universitätsleitung geführt hat.

Mitte Februar äußerte das KEW-Bündnis in einer Pressemitteilung erstmals öffentlich diesen Verdacht. »Universität Leipzig untersagt kritische Bildungsveranstaltungen auf Druck des Verfassungsschutzes«, lautete der Vorwurf. Zwar konnten Prisma und die ASJL ihre Veranstaltungen am Ende wie geplant in der Hochschule abhalten, allerdings hatte die Universität zuerst entsprechende Raumnutzungsanträge abgelehnt. Dem Bündnis zufolge gab es solche Probleme zum ersten Mal. In einer E-Mail habe die Universität ihre Entscheidung explizit damit begründet, dass beide Gruppen als »extremistisch« eingestuft würden. Die Pressestelle der Hochschule teilte auf An­frage lediglich mit, dass nach einer Prüfung der Referentenliste eine »Rücksprache« zwischen Rektorat und Veranstaltern nötig gewesen sei. In einem gemeinsamen Gespräch konnten nach Angaben der Universität »offene Fragen geklärt« werden.

Mittlerweile hat die Hochschule bestätigt, dass es im Zusammenhang mit den KEW ein Treffen zwischen der Universitätsrektorin Beate Schücking, dem damaligen Leipziger Polizeipräsidenten Bernd Merbitz und dem sächsischen Verfassungsschutzpräsidenten Gordian Meyer-Plath gab. Die Initiative dazu sei von Merbitz und Meyer-Plath ausgegangen. Worum genau es bei dem Treffen ging, ist nicht bekannt. Dass die Universität auf Druck des Verfassungsschutzes gehandelt habe, weisen jedoch beide Seiten zurück. »Hierzu hat der Verfassungsschutz in Sachsen keine gesetzliche Kompetenz«, heißt es seitens des Geheimdienstes. Die Universität antwortete auf die Frage, welche Rolle die Behörde bei der Entscheidungsfindung gespielt habe: »Keine.«

Während die Veranstalter der KEW lediglich von »Druck« und »Zusammenarbeit« sprechen, vermuten manche Politiker noch Schlimmeres. Im MDR äußerte Rico Gebhardt, der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Sächsischen Landtag, den Verdacht, dass »mit verfassungsdienstlichen Mitteln die Universitäten« ausgespäht werden. Ein solcher Fall war im November im niedersächsischen Göttingen bekannt geworden. Dort hatte der Verfassungsschutz einen Studenten als Spitzel im linken Milieu angeworben (Jungle World 47 und 48/2018). Genau wie in Leipzig war eine Ortsgruppe der IL betroffen.

Warum sich das Rektorat der Uni­versität Leipzig letztlich doch dazu entschieden hat, die Raumanträge zu ­genehmigen, ist unklar. Vielleicht war nicht nur das Gespräch mit den Ver­anstaltern der KEW, sondern auch ein genauer Blick in den aktuellen Verfassungsschutzbericht hilfreich. Dort liest man beispielsweise, dass »Prisma« gegen Gentrifizierung kämpfe, aber nicht um soziale Strukturen zu erhalten, sondern um »autonome Freiräume« zu schaffen; oder dass die Gruppe an der Kampagne »Ende Gelände« beteiligt sei, um »den Protest gegen Braunkohle für eigene Zwecke zu instrumentalisieren«. Auch Aktionen gegen Legida, den G20-Gipfel und die Innenministerkonferenz sowie antikapitalistische Wortmeldungen gehörten zum Repertoire der Gruppe, die zudem den ­»demokratischen Rechtsstaat infrage« stelle, weil sie nach der Randale von ­Nazis in Connewitz zu »militantem Selbstschutz« aufrief. Inwiefern all das »extremistisch« sein soll und warum die Universitätsleitung den Behauptungen des Verfassungsschutzes mehr vertraut als dem politischen Engagement ihrer Studierenden, hätte sie wohl ausführlicher begründen müssen, wenn sie an den Verboten festgehalten hätte.

Ob die Universitätsleitung auch in anderen Fällen mit dem Verfassungsschutz gesprochen hat, wollte sie auf Anfrage nicht beantworten. Auch der Verfassungsschutz äußerte sich dazu nicht. Aufklärung könnten aber umfangreiche Anfragen der Linkspartei im Landtag bringen – mit Antworten wird noch im März gerechnet.