Die Rapperin Little Simz ist ihren männlichen Kollegen weit voraus

Sie ist die Chefin

Die britische Rapperin Little Simz demonstriert mühelos, dass sie zu den Besten gehört. Und zwar an sich selbst.

Vokabelhefte raus, wir schreiben heute eine Bedeutung um, und zwar im Namen des Fortschritts. Das Wort stammt aus dem Englischen, findet aber auch im deutschen Sprachraum Verwendung. Es lautet »bossy«. Beschrieben wird damit herrisches, rechthaberisches Auftreten. Üblicherweise findet das Attribut für Frauen Verwendung, die selbstbewusst und durchsetzungsfähig sind. Ab heute möge der Bedeutung eine Nuance hinzugefügt werden. Nicht mehr länger soll die Vokabel abwertend, geradezu warnend starke Frauen ­herabwürdigen. Wir vermerken: Bossy – anerkennende, ehrfürchtige ­Bezeichnung für eine bestimmende Persönlichkeit. Es wird eine Weile dauern, bis sich die neue Bedeutung durchsetzt. Den Soundtrack, den man hören sollte, bis man die neue Bedeutung verinnerlicht hat, liefert eine britische Rapperin namens Little Simz.

Ajikawo braucht kein Label, keine Dramaturgie, keine Herkunftsromantik, die über ihr unmittelbares Talent hinausgeht. Ihr Weg, ihr Auftreten und ihr Stil allein sprechen für sich. Wenn Kritiker sie wohlwollend zur »besten rappenden Frau« statt einfach zur »Besten« in ihrem Genre ­erklären, sagt das mehr über ihre Verschubladungssucht aus als über die Künstlerin.

Wäre dieses Genre tatsächlich das, was es manchmal vorgibt zu sein – ein lyrischer Wettkampf zwischen überwiegend männlichen Groß­mäulern, von denen jedes behauptet, das größte zu sein – Simz alias Sim­biatu Ajikawo wäre Weltmeisterin im Leichtgewicht. Mit ihren 25 Jahren ist sie den meisten rappenden Kollegen weit voraus, sowohl sprachlich als auch musikalisch. Kampflos würde sie ganze Wagenladungen von schwerbeketteten Sprechsängern mit ihrem toxischen Flow dahinraffen, um dann, wie auf ihrem neuen Album »Grey Area«, so unglaublich bescheiden zu verkünden, sie sei »Picasso mit dem Stift« oder »Jay-Z an ­einem schlechten Tag, Shakespeare an meinen schlechtesten Tagen«. Die Übertreibung gehört zum Genre. Gänzlich unbegründet ist sie bei ihr nicht.

Zumindest mit Jay-Z hatte Ajikawo tatsächlich zu tun. Auf dem Weg zum Erfolg griff er ihr ein wenig unter die Arme. 2013, da war die Rapperin 19, wurde der Produzent und Labelchef auf sie aufmerksam und veröffentlichte ihr Mixtape auf seiner Homepage. Kurzerhand wurde sie zum Liebling der Musikpresse.

Kritiker überschlugen sich in Lobesreden auf die wahnsinnig schnell und präzise, gleichzeitig hochmelodisch rappende Frau. Schließlich ließ sich auch Kendrick Lamar in einem Radiointerview dazu hinreißen, sie zur derzeit »womöglich krankesten« Rapperin zu adeln. Ein Jahr später stand sie mit der ehemaligen Sängerin der Fugees, Lauryn Hill – eines ihrer erklärten Idole –, und dem Rap-Großmeister Nas auf der Bühne. Trotz solcher Meilensteine gilt sie noch immer als Underdog, als Entdeckung – und als unterschätzt.

Ein recht steiler Aufstieg für eine Anfang 20jährige, deren Erfolg nicht geplant wurde, sondern der allein auf ihrem Talent beruht. Ajikawo lässt sich ungern Arbeit abnehmen und produzierte ihre Musik bislang selbst. 2017 wurde das zum Problem. Ajikawo nennt diese Zeit im Gespräch mit der Jungle World rückblickend eine depressive Phase. Die Zweifel, ob die Liebe zur Kunst groß genug ist, um Familie und Freunde komplett zu vernachlässigen, übermannten sie. Ihr im März erscheinendes Album »Grey Area« soll während dieser Phase entstanden sein, in der »nichts schwarz oder weiß« war, wie sie sagt – sondern alles verwirrend grau.

»Grey Area« ist deswegen aber nicht, wie man vielleicht hätte vermuten können, eine düstere, von Zweifeln durchfressene Collage depressiver Schwankungen – ganz im Gegenteil. Das Album ist eine Machtdemonstration, vom ersten Takt an. Ajikawo kann nicht anders, als auf Gegenwind energisch zu reagieren. Nicht jeder Song knallt wie eine Backpfeife, aber selbst ihre ruhigen Titel liegen auf höchstem Niveau – oder wie sie selbst im basslastigen, herrlich bossy daherkommenden Eröffnungstrack »Offence« rappt: »All I do is kill shit, shit even when I’m chillin’.«

Wer sie trifft, kann das nur bestätigen. Nun, da sie ihre kreative Schaffenspause mit der Veröffentlichung von »Grey Area« eindrucksvoll be­endet hat, ist Ajikawo wieder auf Promo-Tour. In einer Hotelbar in Berlin empfing sie Mitte Januar Journalisten und beantwortete geduldig jede noch so blöde Frage zum Album.

Blöd wirken fast alle, weil Little Simz’ aktueller hypersubjektiver und sehr direkter Stil kaum Fragen offen lässt. ­Anders war das noch beim Vorgänger »Stillness in Wonderland«, einem Konzeptalbum, das den Hörer wie in der gleichnamigen literarischen Phantasiewelt der Alice mit allerlei Metaphorischem bekanntmachen sollte. Nun sitzt Ajikawo da, trinkt Tee und nimmt Fragen entgegen, zum Beispiel zu ihrem Song »Boss«. Die quittiert sie dann lächelnd: »Ich glaube, der Song ist ziemlich selbsterklärend. Ich bin eine Chefin.« Das ist ihre Art, sanft gesprochene Ohrfeigen zu verteilen. Umso böser scheppern sie.

Zumindest, das könne sie noch erzählen, habe sie den Song nicht auf einem »glänzenden Mikrofon« aufnehmen wollen. Der raue Ton eines schäbigen Aufnahmegeräts, das sie zuerst verwendet hatte, gefiel ihr besser. Zwar hatte Ajikawo für »Grey Area« mit Inflo, einem Freund aus Kindertagen und dem Produzenten von The Kooks, zusammengearbeitet – bestimmt hat sie aber vieles noch immer selbst. Und »Grey Area« sollte nicht »shiny« klingen.

Wenn es aber um ihren Tiefpunkt 2017 geht, wird sie nachdenklich: »Es ist bemerkenswert, wie man an ­einem echt tiefen Punkt sein kann und trotzdem etwas Positives hervorbringt, wenn man es durch etwas kanalisiert, was man liebt.« Kaum zu glauben, dass so die gleiche Frau spricht, die in ihrer Musik so vor Selbstbewusstsein strotzt, dass ihr sogar die Taktlängen egal werden. Sie umspielt den Beat, treibt ihn vor sich her, ohne je zu stolpern. Für diese Technik ist auch ihr Bewunderer Lamar bekannt. Sie beherrscht sie ebenbürtig.

Ajikawos Ausstrahlung ist, wie es in einem Song von Rage Against the Machine hieß, »calm like a bomb«. »Ich bin eigentlich eine echt nette Person«, sagt sie lachend, »aber viele Leute machen es sich recht leicht und behandeln diese Nettigkeit wie eine Schwäche.« Durch ihre Erläuterungen wird klar, warum ihr Stil keine inflationären Kraftausdrücke, keine Statussymbole und sonstigen Effekte braucht. Ihr Rap ist so eindrucksvoll, weil er so leichtfüßig, anstrengungslos, fast aus dem Ärmel geschüttelt daherkommt. Er gibt eine Ahnung davon, was geschehen könnte, wenn sie sich Mühe gäbe – und schafft damit jene Ehrfurcht, die man für Testosteron-Rapper aus dem entgegengesetzten Grund kaum noch aufbringen will.

Es ist wenig verwunderlich, dass die Kritiker sie vor allem wegen ­Titeln wie »Boss« (»I’m a boss with a fucking dress«) zur feministischen Vorkämpferin stilisieren wollten, um sie besser einzuordnen und in eine Passform zu bringen. Ajikawo spielt da jedoch nicht mit. Die Frage, ob sie ihr Album als feministisches Werk betrachte, verneint sie knapp. Kurz blitzt nebst der Freundlichkeit eine leichte Abneigung in ihren Augen auf. Das haben schon viele gefragt, alle kriegen die gleiche Antwort.

Ajikawo braucht kein Label, keine Dramaturgie, keine Herkunftsromantik, die über ihr unmittelbares Talent hinausgeht. Ihr Weg, ihr Auftreten und ihr Stil allein sprechen für sich. Wenn Kritiker sie wohlwollend zur »besten rappenden Frau« statt einfach zur »Besten« in ihrem Genre ­erklären, sagt das mehr über ihre Verschubladungssucht aus als über die Künstlerin. Zum Glück interessiert es eine Chefin in der Regel nicht, was die Angestellten tratschen.

 

Little Simz: Grey Area (AGE 101)