Die Proteste gegen Umweltverschmutzung sind hochpolitisch

Unter dem Abfall liegt der Strand

Die Müllkrise im Libanon nimmt kein Ende und steht beispielhaft für die politischen Probleme des Landes. Die Proteste dagegen könnten jedoch zur sozialen Bewegung heranwachsen.

In Beirut ist Mülltrennung hip. Wer etwas auf sich hält, bestellt ein Tuktuk der Initiative »Live Love Recycle«, das Papier, Plastik und Metall getrennt mitnimmt. Seit Februar gibt es auch einen Zero-Waste-Laden. Dort kann man bunte Designer-Leinentaschen kaufen und sich teures Shampoo aus Glasbehältern abfüllen. Es gibt Selbstgemachtes und Lokales: Etwa Zahnbürsten aus der Siwakwurzel, die unter orthodoxen Muslimen als shariakonforme Alter­native zu Plastikbürsten gelten. Mit orthodoxen Muslimen hat der Laden jedoch wenig zu tun, hier trifft man eher die moderne libanesische Mittelschicht, die sich auch am Prenzlauer Berg in Berlin wohlfühlen würde.

Die Ökobewegung ist im Libanon weit mehr als nur eine Wohlfühlblase für Besserverdiener. Auch in ärmeren Stadtteilen trennen die Bewohner inzwischen den Müll, ganz ohne staatliche Vorgaben. Syrische Flüchtlinge melden sich als Freiwillige, um Stadt und Land zu entmüllen. Denn der Libanon hat ein Müllproblem – so viel ist seit 2015 auch international bekannt.

Doch die Ökobewegung ist im Libanon weit mehr als nur eine Wohlfühlblase für Besserverdiener. Auch in ärmeren Stadtteilen trennen die Bewohner inzwischen den Müll, ganz ohne staatliche Vorgaben. Syrische Flüchtlinge melden sich als Freiwillige, um Stadt und Land zu entmüllen. Denn der Libanon hat ein Müllproblem – so viel ist seit 2015 auch international bekannt. Damals protestierten die Beiruter monatelang gegen den Müll, den die Stadtverwaltung zu einer kilometerlangen Hügelkette rund um die Innenstadtbezirke aufgetürmt hatte. Als der Gestank im Sommer nicht mehr auszuhalten war, gingen 100 000 Menschen unter dem Motto »You Stink« auf die Straße.

Der Grund für die akute Krise war damals die Schließung einer Müllkippe, die schon lange ihre Kapazität erreicht hatte. Einem Notfallentsorgungsplan aus dem Jahr 1997 zufolge hätte sie bereits zwölf Jahre zuvor geschlossen werden müssen. Seit dem Bürgerkrieg zwischen 1975 und 1990 gibt es keine tragfähige Lösung für die wachsenden Müllberge. Im ganzen Land quellen Deponien über. Um Platz zu sparen, wird der Abfall verbrannt, ungetrennt auf freiem Feld. Die giftigen Wolken ziehen in die Wohnviertel.

Auch sonst funktioniert wenig im Libanon. Strom- und Wasserversorgung brechen im Sommer regelmäßig zusammen, wenn die Klimaanlagen auf Hochtouren laufen und der Grundwasserspiegel so weit sinkt, dass die Energie nicht ausreicht, das Wasser in höhere Stockwerke zu pumpen. Dabei liefert der Staat nicht einmal Trinkwasser. In den Küchen sind zwei Hähne installiert: Zum Abwasch nimmt man das staatliche, oft stinkende, leicht salzige Wasser, der Trinkwasserhahn daneben führt teuer zugekauftes Wasser aus einem hauseigenen Tank.

Wassermangel ist im Libanon nicht das Problem. Das Land hat so wasserreiche Regionen, dass es problemlos noch die Nachbarländer versorgen könnte. Dutzende Flüsse fließen aus dem Hochgebirge ungenutzt ins Meer. In Beirut fallen mehr Kubikmeter Niederschlag im Jahr als in Berlin.

Darum steht das Thema Ökologie stellvertretend für die allgemeine Forderung nach staatlichem Handeln im Sinne der Bürger. Die politische Führungsschicht des Libanon ist zerstritten und korrupt. Als die Müllkrise 2015 ihren Höhepunkt erreichte, konnte sich das Parlament nicht auf einen Kandidaten für das Präsidentenamt einigen. Das Land blieb zwei Jahre lang ohne Regierung. Nach den letzten Wahlen im Mai dauerte es immerhin nur sechs Monate, bis eine Regierung zustande kam.

In der Partei- und Parlamentspolitik geht es vornehmlich um die Verteilung von Pfründen. Der Müll wird inzwischen im Meer gestapelt, um neues Land zu erschließen. Das Küstenstück gehört der Familie des Ministerpräsidenten Saad Hariri. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung für das Projekt steht noch aus. Dennoch wird schon jetzt Müll ins Wasser geschaufelt – darunter auch chemische Abfälle. Vertreter der Waste Management Coalition, in der sich verschiedene Umweltgruppen zusammengeschlossen haben, glauben, dass Fakten geschaffen werden sollen: Bevor die Prüfung ergibt, dass der Müll das Meer vergiftet, werden die Hariris sich feinstes Land für den Bau teurer Immobilien geschaffen haben.

Im vergangenen Herbst spülten Regenstürme meterhohe Müllberge durch die Straßen Beiruts hinunter zum Meer. Die Strände sind Müllhalden, sofern sie nicht im Privatbesitz sind und gereinigt werden.

Die Umweltschützer wundern sich, dass die Europäer nicht Alarm schlagen. Immerhin geht es auch um ihr Meer. Ganz untätig ist die EU nicht. Sie hat in den vergangenen Jahren sechs Aufbereitungsanlagen gebaut. Deutschland zahlte zusätzlich 1,6 Millionen Euro für Müllcon­tainer in 25 Gemeinden. Das ist Teil der Flüchtlingshilfe, die die EU dem Land zukommen lässt, damit es unter der Last von einer Million syrischen Flüchtlingen bei vormals nur fünf Millionen Einwohnern nicht komplett zusammenbricht. Die Flüchtlinge sind wohl auch der Grund, warum Europa die Verschmutzung des Meers ohne Protest hinnimmt, mutmaßen Umweltschützer. Denn die Europäer hätten Angst, dass die Flüchtlinge in Boote steigen könnten.

Womöglich will man auch keine Auflagen, an die man sich dann selbst halten müsste. Laut der Umweltorganisation WWF sind Italien und Spanien die größten Mittelmeervermüller, dicht gefolgt von Ägypten.
Die Abfallentsorgung ist in vielen arabischen Ländern mangelhaft, und das schon seit langem. Auch als Muammar al-Gaddafi noch in Libyen regierte, glitzerte beim Blick gen Norden vor der Strandpromenade in Tripoli bei ungünstigem Wind nicht das Meer, sondern nur Plastikflaschen. In Ägypten sorgte die Umstellung von traditionellen Müllsammlern auf moderne Müll­entsorgung durch große Unternehmen für Chaos. Bis zu einem Drittel des Mülls in Kairo wird nicht mehr abgeholt, sondern vergammelt in den ­Straßen oder landet im Nil.

Als im Frühjahr 2011 die Menschen in vielen arabischen Ländern auf die Straße gingen, um ihre korrupten Regime zu stürzen, war der Müll auf den Straßen ein wichtiges Aktionsfeld. In Bengasi, Kairo und in den Vororten von Damaskus gründeten sich revolutionäre Putztruppen, die die Straßen fegten, Müllbehälter aufstellten und sogar Blumen in die Rabatten pflanzten.

Das war kein kleinbürgerliches Aufräumen im Vorgarten. Sie demonstrierten damit, dass die Straßen fortan den Menschen gehören sollten und was der Staat seinen Bürgern bisher schuldig geblieben war: funktionierende Dienstleistungen. In Syrien zertraten die Soldaten der staatlichen Armee die Blumen demonstrativ. Auch das war ein deutliches Zeichen: Der Staat erlaubt keine Eigeninitiative. Lieber soll es hässlich sein. In Kairo fielen die Müllbehälter Vandalismus zum Opfer, wurden zerstört oder geklaut, als sich die neue Diktatur etablierte.

Im Libanon hingegen ist Eigeninitiative erwünscht. Gäbe es sie nicht, würde noch weniger funktionieren. Doch trotz Demokratie gehört das Land nicht den Menschen, sondern wird unter den regierenden Familien aufgeteilt.

Dagegen gründete sich aus den Müllprotesten heraus die Bewegung Madinati (Meine Stadt) in Beirut und anderen libanesischen Städten, die Bürgerversammlungen in Parks und auf öffentlichen Plätzen abhielt.

Hunderte beteiligten sich an den Diskussionen. Bei den Kommunalwahlen 2016 gewann die Madinati-Liste 40 Prozent der Stimmen in Beirut. Da sich aber alle etablierten Parteien zur Beirut-Liste zusammengeschlossen hatten, ging die Mandati-Liste bei den Mandaten leer aus. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 schlossen sich zivilgesellschaftliche Gruppen zum Bündnis Kuluna Watani (Wir sind alle meine Heimat) und konnten einen Wahlbezirk gewinnen.

In den vergangenen Monaten hat Madinati gemeinsam mit anderen Initiativen und linken Parteien Demonstrationen für ein gerechtes Gesundheitssystem organisiert. Doch mit rund 5 000 Teilnehmern waren diese weit entfernt von der Massenbewegung 2015.
Das Parlament debattiert derweil über die Einrichtung einer riesigen Müllverbrennungsanlage für Beirut.

Solche Anlangen sind nach Ansicht von Experten wenig sinnvoll, solange der Müll nicht getrennt wird. Denn ein großer Teil der Haushaltsabfälle ist organisch und brennt nur, wenn man fossile Brennstoffe zufügt. Zudem gibt es berechtigte Zweifel, ob die Wartung der Anlagen funktionieren wird. Der Gestank wird wohl bleiben.