Donnerstagsdemonstrationen in Wien gegen die rechte Regierung

Heraus zum Donnerstag

Seit Oktober wird in Österreich mit den sogenannten Donnerstagsdemonstrationen einmal pro Woche gegen die rechte Regierung protestiert. Jede Woche haben die Demonstrationen in Wien einen anderen Schwerpunkt. Statt um autonome Inszenierung geht es eher um das Zusammenkommen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen.
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Aus der U-Bahnstation Josefstädter Straße strömt eine Gruppe Punks in ­Lederjacken und mit gefärbten Haaren, die kleine Regenbogenfähnchen aus Plastik bei sich tragen. Die U-Bahnstation liegt wie viele Haltestellen am so­genannten Gürtel in Wien auf einem Viadukt, in einer aufgeräumten Gegend mit vielen schönen alten Häusern – für Zigarettenkippen, die auf die Straße geworfen werden, droht ein Bußgeld. Frauen in studentischem Chic mit Schildern, die Aufschriften wie »Kurz-Schluss« tragen, kommen aus Nebenstraßen. Männer in Bürokleidung ­rollen auf dem Fahrrad an, alte Frauen laufen herbei sowie eine Gruppe junger Studierender mit Bierflaschen und eine andere, die statt Bier eine Fahne der »Antifaschistischen Aktion« an einer Holzstange mit sich führt. Es ist Donnerstagabend – Zeit für die wöchent­liche Demonstration.

Seit Ende 2017 regiert in Österreich die Koalition aus konservativer ÖVP und rechtspopulistischer FPÖ – nach den Parteifarben auch »schwarz-blaue« oder »türkis-blaue« Koalition genannt, da die ÖVP 2017 Türkis als neue Parteifarbe auserkoren hat. Zu den Feindbildern der rechten Regierung gehören Linke, Migranten und der Feminismus; Politik macht sie meist für Unternehmer und die obere Mittelschicht. Ein Jahr nach der Nationalratswahl, aus der die rechten Koalitionsparteien als Siegerinnen hervorgingen, im Oktober 2018, begannen die sogenannten Donnerstagsdemonstrationen gegen die Regierung. Sie folgten auf die Proteste gegen die Einführung des Zwölfstundentags einige Monate zuvor und die Demonstrationen anlässlich des EU-Migrationsgipfels gegen eine Abschottung der EU.

Seither wird jede Woche demonstriert, mit unterschiedlichen Schwerpunkten und wechselnder Beteiligung. Man bedient sich dabei eines bekannten Formats: Als es im Jahr 2000 zur ersten schwarz-blauen Koalition auf Bundesebene kam, trafen sich jeden Donnerstag Hunderte bis Tausende Menschen, um in Wien unangemeldet gegen die Regierung zu protestieren. Über zwei Jahre lang waren die Demonstrationen damals ein Ort des Widerstands – und der Zusammenkunft.

»Während das ›Rote Wien‹ weltweit gefeiert wird, gibt es trotzdem aktuell Zugangskriterien, die gewisse Leute dauerhaft vom sozialen Wohnraum ausschließen.«
Gabu Heindl, Architektin

»Wir sind jetzt zusammen« ist mittlerweile ein Motto der Demonstrationen. Peter, ein Mann mittleren Alters, dessen bis oben zugeknöpfter schwarzer Mantel ihm einen ernsten Eindruck verleiht, ist einer der Menschen, die an diesem Donnerstag in Wien zusammengekommen sind. »Demos sind gut für eine Zivilgesellschaft, um der Regierung zu zeigen, dass sie nicht alles machen kann«, sagt er. Und er ist sich sicher: »Die Jugend wird’s schon richten.« Die ist zahlreich vertreten, durch Studierende sowie Kinder und Jugendliche, in Begleitung ihrer Eltern, allein oder in Gruppen.
Viertel der Verdrängung

An der Ladefläche des kleinen Lasters, der die Demonstration führen soll, werden die Boxen verkabelt – rundherum herrscht das übliche Demonstrationsvorgeplänkel. In kleineren Gruppen wird geschwatzt, zahlreiche Personen wuseln eifrig von einer zur anderenund ver­teilen Flugblätter: Von der Einladung zur internationalistischen Podiumsdiskus­sion zur Lage im Iran über Solidaritätsaufrufe für unlängst ­geräumte Besetzungen bis hin zu Europawahlwerbung einer Kleinstpartei, ­deren Vertreter mit seinem Spruch »Darf ich Ihnen ­einen nichtkommunistischen Flyer geben?« für manche ­Lacher sorgt.

Längst hat der »Frontalprotest« gegen die Regierung einer Programmpolitik Platz gemacht, die jede Woche zu einem anderen Thema Forderungen erhebt. Es gehe darum, »zu jedem Thema Alternativen aufzuzeigen«, wie die Architektin und Mitorganisatorin Gabu Heindl sagt. In der Woche zuvor, kurz vor dem Wiener Akademikerball, führte die Route an Verbindungshäusern vorbei, um auf die große Bedeutung der rechten Männerbünde in der österreichischen Gesellschaft aufmerksam zu machen. Das Thema dieser Woche ist ein Klassiker moderner Großstädte: Wohnraumpolitik, es geht um zu hohe Mieten, Verdrängung und Obdachlosigkeit.

Dabei zeigen gleich die ersten Redebeiträge am Auftaktort, welchen Schwerpunkt die Organisatorinnen und Organisatoren in dieser Woche gesetzt haben. Neben Aktivistinnen wie Jutka Lakatosné von der ungarischen Orga­nisation »A Város Mindenkié« (Die Stadt ist für alle), die sich in erster Linie für die Rechte Wohnungsloser einsetzt, sprechen mit Hedy und Ingebork Ankele von »Shade Tours« zwei Betroffene von Obdachlosigkeit über ihre Erfahrungen, entmündigende Behörden und Not. Sie reden von Würde und Selbstbestimmung, Kernbegriffe, die am Abend mehrfach wiederholt werden.

Rave-Musik dröhnt aus den Boxen des Lautsprecherwagens, der Demons­trationszug setzt sich in Bewegung. Aus einigen Hundert sind auf einmal mehr als 2 000 Menschen geworden. Der erste Teil der Demonstrationsroute geht durch Josefstadt, den 8. Bezirk Wiens, ein beliebtes Innenstadtviertel mit zahlreichen Prachtbauten. Die Straßen sind gesäumt von verzierten Häusern, der Wohnraum ist teuer. Der Demonstrationszug passiert eine Zuweisungsstelle für Wohnungs­lose und ein ehemaliges Amtsgebäude, das in teure Eigentumswohnungen umgewandelt wurde, ­zudem ein Seniorenheim, in dem ein Zimmer 3 000 Euro pro Monat kostet. Es sind Orte, die deutlich für soziale Ungleichheit und Verdrängung stehen.

Heindl trägt eine Mütze, auf der weit sichtbar ein schlichtes »Do!« prangt, das Logo der Donnerstagsdemonstrationen. Sie erläutert die Wahl der Route. Für sie sei der Bezirk repräsentativ für eine Entwicklung auf dem Wiener Wohnungsmarkt, die rassistische und anderweitig diskriminierende Ausgrenzung begünstigt. Seit 1994 sind in Österreich in Miethäusern – hier Zinshäuser genannt – befristete Mietverträge mit einer Laufzeit von mindestens drei Jahren zugelassen. Mit jedem neuen Mietvertrag erhöht sich so die Miete im privaten Wohnungsmarkt, den die türkis-blaue Regierung noch weiter ­deregulieren will. Zugleich herrscht im Wiener Gemeindebau eine »Vienna First Policy«: Menschen, die in Wien fünf Jahre lang an derselben Adresse ­gemeldet waren, haben bevorzugten Zugang zu Wohnraum des sozialen Wohnungsbaus. »Während das ›Rote Wien‹ weltweit gefeiert wird, gibt es trotzdem aktuell Zugangskriterien, die gewisse Leute dauerhaft vom sozialen Wohnraum ausschließen«, so Heindl.

Der Gang durch das Viertel verstärkt diesen Eindruck. Zwar hängt hier und da ein Bettlaken, eine Fahne oder ein Schild aus einem Fenster, um die Solidarität der Bewohnerinnen und Bewohner mit der Demonstration ausdrücken. Weitaus öfter passiert die Demonstration allerdings großzügig verglaste Restaurants der gehobeneren Klasse, die das Strassenbild dominieren und deren gut gekleidete Gäste am Rande stehen und gaffen wie bei einem Autounfall. Die Protestierenden wirken hier fremd, scheinen nicht dazuzugehören. Passend dazu fallen einige Regentropfen aus dunklen Wolken, die sich gerade zusammengezogen haben. »Selbst der Himmel ist schwarz-blau«, merkt ein Teilnehmer an.

Solidarität in Ottakring

Jenseits des Gürtels, auf der zweiten Hälfte der Route, ändern sich das ­Wetter und die Umgebung. Der Regen macht trockener Kälte Platz, die Häuser sind weniger prunkvoll, statt teurer ­Restaurants beherbergen sie die typische Wiener Mischung aus kleinen Gastronomie- und Einzelhandelsläden. Im alten Arbeiterwohnbezirk Ottakring und dem benachbarten Hernals ist die Solidarität mit den Demonstrierenden größer: Die Bewohnerinnen und Bewohner grüßen aus ihren Fenstern, zünden Kerzen an und schwenken Fahnen. Die Rufe und das Winken werden vom Zug freudig erwidert. Heindl sagt, dies seien die Bezirke, in denen »zynisch agierende Firmen Entmietungen durchführen und ganze Häuser aufkaufen – dasselbe wie in anderen europäischen Städten auch«.

Der Demonstrationszug ist äußerst vielfältig, das betrifft nicht nur die vertretenen Altersgruppen und Sub­kulturen, sondern auch das Demonstrationsverhalten. Da wäre der Block der »Omas gegen rechts«, inklusive eigener Splittergruppe, der »Omanzen«. 20 Meter weiter läuft eine kleine kommunistische Reihe unter einem roten Banner. Ihre Sprechchöre verhallen stets, die anderen Demonstrierenden greifen sie nicht auf. Statt Sprech­chören dominieren die schrillen Töne einer Armada von Tröten und Trillerpfeifen. Studierende unterhalten sich lachend. Hier vertreten scheint vor ­allem ein urbanes, linkes bis liberales Milieu, ohne viel autonomes Gehabe und Muskelspielerei, ohne Redebeiträge, die zunächst die Wertform abhandeln, weil Kritik sonst nicht möglich sei. ­Gekämpft wird stattdessen mit den Waffen der Zivilgesellschaft: Trillerpfeifen, Smartphones und Musikbeschallung von DJs, die statt trockenem Politrap den feuchten Poptraum der Millennials aus den Tiefen der neunziger Jahre auferstehen lassen.

»Wir wollen keine politischen Manifeste durch ein Megaphon schreien, sondern Realitäten aufzeigen, betroffenen Personen eine Bühne bieten.« Jelena Gučanin, Journalistin

Bei der Abschlusskundgebung im Leon-Askin-Park in Ottakring kritisiert Mina Miakhel von den Initiativen »Afghan Women in Vienna« und »Flüchtlinge Willkommen Österreich« in ­ihrem Redebeitrag eine praxisferne radikale Linke. »Liebt ihr eure Theorien?« ruft sie, um das Ja, das sie von einigen als Antwort erhält, mit der Frage zu kontern, wie viele linke WGs denn tatsächlich Geflüchtete aufgenommen hätten, statt diese mit ihren hohen linksakademischen An­sprüchen in Castings auszusortieren. Sie fordert, die Andersartigkeit von Geflüchteten anzuerkennen, um inklusiver zu werden – eine politische Umorientierung.

Ein Gedanke, der immer wieder in den Redebeiträgen mitschwingt. Es geht um Alternativen, Wertewandel, Umorientierung. Wie das gehen soll, ­beantworten die Rednerinnen und Redner manchmal selbst: ökonomische ­Alternativen, »Wiederherstellung von Würde«, die derzeit unterdrückt werde, andere Formen des Zusammenseins. Auch Selbstorganisation wird immer wieder genannt.

Pop und Protest

»Wir wollen keine politischen Manifeste durch ein Megaphon schreien, sondern Realitäten aufzeigen, betroffenen Personen eine Bühne bieten, Geschichten erzählen – Alternativen aufzeigen. Das macht uns niedrigschwelliger und zugänglicher als klassisch linke Demonstrationen«, sagt die Journa­listin Jelena Gučanin, die die Demonstrationen mitorganisiert, zwei Wochen nach der Demonstration mit dem Wohnpolitikschwerpunkt. Auch Rick Reuther, der gendersensible Jungen- und ­Männerarbeit macht, organisiert die Demonstrationen mit. Er ist heute ebenfalls zum Treffpunkt in der Nähe des Wiener Hauptbahnhofs gekommen, wo die Demonstration losgehen soll. Reuther verschwindet beinahe zwischen den riesigen Glasfronten, die sich rings umher erheben. Einige ­Meter entfernt zurren Leute die Plane am Lautsprecherwagen fest, erste ­Demonstrierende treffen ein: Es ist wieder Donnerstag, zum 20. Mal.

Um welche Alternativen es geht, können die beiden im Gespräch nicht ­genauer erläutern oder wollen es nicht. Es gehe eben nicht um die Alternative vom Reißbrett, sondern das Zusammenkommen. Darum, Betroffene stark zu machen, ihnen eine Stimme zu geben, das Zusammensein zu stärken. Über 70 Prozent der Rednerinnen und Redner bei den Demonstrationen sind weiblich, mehr als die Hälfte migrantisch oder nichtweiß. Aufgezeigt werden sollen gerade die Antworten, die sonst untergehen würden.

Reuther sieht sich als Teil eines »linken, widerspenstigen Spektrums«. »Nur sind verschiedene Demoformen halt auch für verschiedene Dinge ­geeignet, wir wollen einen Ort schaffen, der allen offen steht. Viele Menschen, die sich bis vor kurzer Zeit als unpolitisch begriffen haben, wurden im Zuge der Regierungsbildung politisiert – wir wollen das kontextualisieren«, sagt er. Gučanin ergänzt: »Deshalb sind bei uns auch keine Parteien vertreten, weder in der Organisation noch auf der Bühne.«
Spaß darf man bei der Suche nach Alternativen auch haben. Bei dieser ­Demonstration, einen Tag vor dem internationalen Frauenkampftag unter dem Motto »No Justice – No Peace«, ist die Gruppe Femme DMC dafür zu­ständig. Zu den Klängen von Clubmusik, südafrikanischem Gqom und HipHop treibt sie den Demonstrationszug vom Bahnhof in Richtung der Schlusskundgebung am Siebenbrunnenplatz. Die Präsenz der Donnerstagsdemonstrationen in den sozialen Medien macht sie anschlussfähiger für eine oft junge, urbane Zivilgesellschaft. Jede Veranstaltung wird breit in den Netzwerken ­beworben, die Demonstrationen werden live übertragen. Wer nicht da ist, kann, so die Idee, dennoch dabei sein.

Es bleibt eine Mischung aus Protest, Zusammenkunft und Pop. Reuther meint dazu: »Politik zu machen, ist irgendwie immer Pop, oder? Die FPÖ hat ja auch Andreas Gabalier! Wieso sollten wir denn unsere ästhetischen Bedürfnisse fallen lassen, wenn wir demonstrieren? Die Linke hat europaweit Design­probleme – da mal ein bisschen was aufzurütteln und nicht zehn Jahre alte Memes weiter zu bedienen, ist vielleicht auch an der Zeit.«

Die nächste Donnerstagsdemonstration am 21. März hat, passend zum ­Internationalen Tag gegen Rassismus, einen antirassistischen Schwerpunkt.