Genozid an Ovaherero und Nama

Den Völkermord aussitzen

Der Bundestag hat es in der vergangenen Woche abgelehnt, sich bei den Nachfahren der Opfer des Völkermords in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika zu entschuldigen.

Es war alles andere als ein Showdown nach vielen Jahren der Debatten und Anträge: Die Uhr des Bundestags zeigte bereits Mitternacht an, als am Donnerstag voriger Woche die wenigen verbliebenen Abgeordneten ihre Reden zum Umgang mit dem Völkermord an den Ovaherero und Nama hielten. Die SPD gab ihre Einlassung nur zu Protokoll. Danach lehnte der Bundestag mit den Stimmen der Union, der SPD, der AfD und der FDP den Antrag der Linkspartei mit dem Titel »Versöhnung mit Namibia – Entschuldigung und Verantwortung für den Völkermord in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika« ab. Die Linkspartei und die Grünen stimmten dafür.

Christian Kopp ist enttäuscht. »Die Ablehnung ist eine Respektlosigkeit«, sagt das Mitglied des Bündnisses »Völkermord verjährt nicht!«. Anstatt sich offiziell zu entschuldigen, habe der Bundestag den deutschen Genozid um Mitternacht abgehandelt und einen Teil der überwiegend uninspirierten Reden lediglich zu Protokoll gegeben. »Und das auch noch am namibischen Nationalfeiertag und am Welttag gegen Rassismus«, so Kopp.

Der Antrag sah vor, dass der Bundestag die Bundesregierung endlich auffordern solle, sich vorbehaltlos zur Schuld des Deutschen Kaiserreichs am Völkermord in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika zu bekennen und die Republik Namibia, insbesondere die betroffenen Bevölkerungsgruppen der Ovaherero und Nama, um Entschuldigung zu bitten. Den Widerstand gegen die Kolonisierung des südwest­lichen Afrika vor über 100 Jahren hatte der damalige Generalleutnant Lothar von Trotha mit den Vernichtungsbefehlen von 1904 und 1905 beantwortet. Schätzungen von Experten zufolge sind 80 Prozent der Herero und die Hälfte der Nama dem ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts zum Opfer gefallen.

In ihrem Antrag brachte die Linkspartei zahlreiche weitere Forderungen vor: So sollten etwa Vertreter der Nachfahren der Opfergruppen in die deutsch-namibischen Verhandlungen einbezogen werden. Von Entschädigung oder Reparationen war im Antrag nicht die Rede, wohl aber sollte ein »Strukturausgleichsfonds« eingerichtet werden, mit dem die aus der deutschen Kolonialzeit resultierenden strukturellen Benachteiligungen, insbesondere in Fragen des Landbesitzes, ausgeglichen werden sollten. Die Bundesregierung solle sich dafür einsetzen, dass diejenigen deutschen Unternehmen beziehungsweise deren Rechtsnachfolger, die von Zwangsarbeit, Enteignungen und Vertreibungen in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika profitiert hatten, sich an der finanziellen Ausstattung des »Strukturausgleichsfonds« beteiligen. Darüber hinaus sah der abgelehnte Antrag vor, eine umfassende Bestandsaufnahme der in deutschen Sammlungen lagernden, geraubten menschlichen Gebeine aus ehemaligen deutschen Kolonien vorzunehmen und diese ebenso wie geraubte Kulturgüter und Kunstschätze zurückzuführen.

Einige Redner, darunter Olaf in der Beek (FDP) und Matern von Marschall (CDU), verwiesen auf die laufenden Verhandlungen zwischen der namibischen und der deutschen Regierung, ­deren Ergebnis abgewartet werden solle. Die Verbände der Ovaherero und Nama sollten nicht in die Verhandlungen einbezogen werden, da dies der »Versöhnung der Volksgruppen« in Namibia entgegenstehe. Allerdings sind die unterschiedlichen ­Interessen, die im namibischen Parlament, in der Gesellschaft und bei den Nachfahren der Überlebenden zutage treten, keineswegs von der Zugehörigkeit zu »Volksgruppen« abhängig – was die vermeintliche Expertise der beiden ­Abgeordneten als Stammesdenken offenbart.

Am Mittag hatten ungefähr 20 Mitglieder des Bündnisses »Völkermord verjährt nicht!« und drei Bundestagsabgeordnete vor dem Reichstagsgebäude in Berlin demonstriert. Das Solidaritätsbündnis hatte den Bundestag dazu aufgerufen, den Genozid endlich ohne Wenn und Aber anzuerkennen und die Ovaherero und Nama offiziell um Entschuldigung zu bitten. Zudem hatte es die Bundesregierung dazu aufgefordert, die Verbandsvertreter der vom Genozid betroffenen Bevölkerungsgruppen nicht länger von den seit 2014 geführten bilateralen Verhandlungen mit der namibischen Regierung auszuschließen. Der Berliner Herero-Aktivist und Bündnissprecher Israel Kaunatjike sagte: »Die Bundes­regierung täuscht sich, wenn sie glaubt, dass sie die Sache aussitzen kann.«

Doch vorerst bleibt es dabei: Es gibt keine offizielle Anerkennung des ­Völkermords und keine Entschuldigung des Bundestags, eines Bundespräsidenten oder einer Bundesregierung bei den Verbänden und Nachfahren der betroffenen Opfergruppen.