Religion und Weiblichkeit

Männerphantasien

Islamische und christliche Extremisten kämpfen für dieselbe Sache: totale Herrschaft über den weiblichen Körper.
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Kaum eine dystopische Erzählung trifft gegenwärtig den Nerv der Zeit so gut wie die Neuverfilmung von Margaret Atwoods »The Handmaid’s Tale« (dt. »Der Report der Magd«, siehe Jungle World 17/2018). In der nahen Zukunft hat ein Putsch extremer Christen in den USA stattgefunden, an deren Stelle die theokratische Republik Gilead getreten ist, ein von einer kleinen Führungsschicht religiöser Kommandaten regierter Polizeistaat. Amputationen, Steinigungen und Straflager sind die gängigen Strafen für das Übertreten der strengen religiösen Gesetze. Frauen sind weitgehend entrechtet, der Zugang zu Besitz und Bildung wird ihnen systematisch verwehrt. Durch Umweltkatastrophen sind die meisten Menschen unfruchtbar geworden. Die verbliebenen gebärfähigen Frauen werden als Fortpflanzungssklavinnen gehalten. Sie stehen auf der untersten Stufe der hierarchischen Gesellschaft Gileads und stellen zugleich deren geheimes Zentrum dar. Um sie – genauer: ihre Gebärfähigkeit – dreht sich dort letztlich alles. Völlige Kontrolle über die reproduktiven Fähigkeiten oder der Versuch, diese herzustellen – darauf ist Gilead letztlich aufgebaut.

Die Einhegung und Kontrolle des Weiblichen ist im Grunde das gar nicht so geheime arcanum imperii aller gegenwärtigen fundamen­talistisch-reaktionären Bewegungen. Gerade weil das so ist, bekämpfen sie besonders verbissen jede Kritik am Modell binärer Geschlechtlichkeit, deswegen drehen sie angesichts des »Gender-Gaga«, der es in Frage stellt, regelmäßig durch. Ayatollah Khomeini betrat erstmals die politische Bühne, als der Schah im Iran der sechziger Jahre das Frauenwahlrecht einführte (interessanterweise schafften Khomeini und seine Anhänger es nach ihrer Machtübernahme aber nicht wieder ab), die rechten Evangelikalen in den USA politisierten sich im Kampf gegen das Recht auf Abtreibung ein Jahrzehnt später. Atwoods dystopischer Roman, der erstmals 1985 erschien, trägt deutliche Züge der damals noch jungen Islamischen Republik Iran unter Khomeini und erinnert zugleich an die christliche US-Rechte, deren Einfluss in der Republikanischen Partei ebenfalls auf jene Zeit zurückgeht. Damals wirkten beide Erscheinungen anachronistisch. Und doch deutete sich in diesen Phänomenen erstmals an, was heute viel deutlicher zutage tritt: Dass sich religiös und kulturell definierte, postdemokratisch und illiberal regierte Großräume einmal als Alternative zu einer Weltordnung der universa­listisch-säkularen Menschenrechte anbieten würden. Die Angst vor einer solchen Ordnung ist der Nerv, den die Neuverfilmung von »The Handmaid’s Tale« trifft.

Eine Machtübernahme extremer Christen droht in den USA und Europa heutzutage allerdings weniger durch spektakuläre Putschversuche als vielmehr auf dem Weg langer Märsche durch die Institutionen. Obwohl sie nur einen vergleichsweise kleinen Teil der ­US-Bevölkerung ausmacht, war die christliche Rechte in den USA damit erfolgreicher, als es auf den ersten Blick erscheint. Gegenwärtig ist einer von ihnen nur »a heartbeat away« von der Präsidentschaft. Donald Trump sagte einmal im Scherz über die Ansichten seines Vizepräsidenten Mike Pence, der im Fall seines Todes (oder seiner Amtsenthebung) sein Nachfolger würde, zu den Rechten von Schwulen und Lesben: »Fragt den Kerl nicht – er will sie alle hängen!« Eine Übertreibung? Vor kurzem reichten Republikaner im Bundesstaat Texas einen Gesetzentwurf ein, das es ermöglichen würde, Frauen, die abtreiben, mit dem Tode zu bestrafen (Jungle World 16/2019). Für den Schutz des ungeborenen Lebens würden die »Lebensschützer« über Leichen gehen. Auch wenn ihnen diese mör­derische Absicht durchaus zuzutrauen ist – die perfide Strategie hinter dem Gesetzentwurf ist mutmaßlich weniger spektakulär, dafür aber für die gesamte USA von Bedeutung: Man will das Thema Schwangerschaftsabbruch wieder vor den Obersten Gerichtshof bringen. Dort haben konservative Richter die Mehrheit und könnten die bisherige Rechtsprechung kippen, die Schwangeren ein Recht auf Abtreibung zugesteht.