Albaniens Atombunker

Spuren der Paranoia

Albaniens Diktator Enver Hoxha ließ rund 200.000 Bunker bauen, um sein Regime vor einer »imperialistischen Invasion« zu schützen. Jeder Quadratzentimeter albanischen Bodens sollte unter Tage verteidigt werden.
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Enver Hoxha muss sehr von seiner Version des Sozialismus angetan gewesen sein. Im eigenen Land gefeiert als der »fünfte Architekt des Marxismus-Leninismus« (neben Marx, Engels, Lenin und Stalin) hatte der albanische Diktator sein Land nach 1945 immer weiter in die Isolation geführt. Ein Bündnispartner nach dem anderen fiel in Ungnade und wurde der Abweichung vom wahren sozialistischen Weg bezichtigt. Hoxha kämpfte gegen anarchistische, trotzkistische, titoistische, chruschtschowianische und eurokommunistische Ideen und deren Anhänger. Schließlich brach Hoxha auch mit China, Albanien stand allein da und verfolgte ab 1978 eine isolationistische Politik.

Doch Hoxha hatte vorgesorgt. Schon seit Ende der sechziger Jahre verfolgte er ein umfangreiches Bunkerbauprogramm mit dem Albanien vor jedweder Invasion geschützt werden sollte. Der albanische Diktator befürchtete Invasionen von allen Seiten, sowohl einen Einmarsch sowjetischer Truppen wie bei der Niederschlagung des »Prager Frühlings« 1968 in der Tschechoslowakei, als auch den Einfall »imperialistischer« Truppen, die Albanien die Errungenschaften des Sozialismus neideten. In einer Neuauflage des Partisanenkriegs sollte quasi jeder Quadratzentimeter albanischen Bodens durch eine Kette von Bunkern verteidigt werden.

Viele Legenden ranken sich um das Bunkerbauprogramm in Albanien, von bis zu 700.000 geplanten Bunkern ist im Internet die Rede. Realistisch sind eher rund 200 000. Bis 1983, zwei Jahre vor Hoxhas Tod, waren an die 170.000 von ihnen fertig gestellt worden. Der Bau bedeutete eine unglaubliche Anstrengung für die albanische Wirtschaft, die ohnehin kaum in der Lage war, die grundlegenden Bedürfnisse der Bevölkerung zu decken. Schätzungen gehen davon aus, dass jährlich rund zehn Prozent des Nationaleinkommens in den Bunkerbau flossen.

Tunnel

Beklemmend. Hoxhas Atombunker ist durch einen langen Tunnel zu erreichen.

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Guido Sprügel

Zahlreiche kleine Bunker bestimmen bis heute das Landschaftsbild Albaniens. Sie waren für die vielen einfachen Soldaten gedacht. Doch von wo aus sollten die Soldaten geleitet werden? Selbstverständlich waren auch Bunker für die Führungsebene vorgesehen. In Tirana wurden von 1974 bis 1986 unter strikter Geheimhaltung zwei gigantische Bunkeranlagen gebaut, die selbst einem chemischen oder atomaren Angriff standhalten sollten. Selbst Jahrzehnte nach dem Ende des Sozialismus wussten weite Teile der Bevölkerung nichts von der Existenz dieser riesigen Anlagen. Erst durch das Engagement des italienischen Journalisten Carlo Bollino wurden die monströsen Bunker der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Unterstützung erhielt Bollino von der albanischen Journalistin Admirina Peçi, die eine historische Forschungsgruppe leitete, und der NGO Qendra Ura (Brücke ins Zentrum).

Vom Bunker zum Museum
»Meine Eltern waren überzeugt davon, dass sie im reichsten Land der Welt ­leben. Sie hatten nur Zugang zu albanischer Propaganda. Von der Existenz dieser riesigen Bunkeranlagen hatten sie keine Vorstellung«, erzählt Artemisa Muço, die als Führerin bei dem Projekt Bunk’Art arbeitet. Die 27jährige ist zu jung, um Hoxhas Sozialismus in Albanien selbst miterlebt zu haben.

Seit 2014 ist der große, einst für Hoxha gebaute Atombunker am Rande Tiranas für die Öffentlichkeit zugänglich. Die NGO Qendra Ura unterstützte die Idee Bollinos einer Bunk’Art genannten Symbiose aus geschichtlichem Museum und Kunst­installation, die sich mit den Schrecken der stalinistischen Herrschaft auseinandersetzt. Die NGO finanziert sich nur über die Eintrittsgelder. Insgesamt beschäftigt sie zehn Personen. 2018 besuchten 30.000 Menschen Bunk’Art 1. Nachdem auch der zweite Atombunker, der für den Innenminister gedacht war, unter dem Stadtzentrum Tiranas für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden war, eröffnete 2016 mit Bunk’Art 2 eine weitere Ausstellung. Diese verzeichnete im vergangenen Jahr doppelt so viele Besucherinnen und Besucher wie Bunk’Art 1.

Stühle

Standardeinrichtung. Die Möbel in Hoxhas Albanien waren überall gleich.

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Guido Sprügel

Um zu dem rund 2.600 Quadratmeter großen Atombunker für die Führungsriege aus Partei und Staat zu gelangen, wo sich heute Bunk’Art 1 befindet, muss man sich an den nordöstlichen Stadtrand Tiranas begeben. Am Fuß des Bergs Dajti wandert man zunächst durch einen rund 200 Meter langen Stollen, der unmittelbar am Kassenhäuschen von Bunk’Art endet. Nach Entrichtung von 500 Lek (rund vier Euro) geht man einige hundert Meter leicht bergauf durch wunderschöne Natur, um zum versteckt gelegenen Eingang des Bunkers zu gelangen. Von außen sieht man dem Berg sein Geheimnis so gut wie nicht an. »Alle Arbeiter hatten sich verpflichtet, über die Bautätigkeit kein Sterbenswörtchen zu verlieren«, erzählt Albert Nipolli, der bei Qendra Ura für alle Fragen rund um die Instandhaltung der Bunker zuständig ist. Mit dem Bau wurde 1974 begonnen, vier Jahre später war er fertig.

Der Moder bleibt
Nach Passieren der Dekontaminationsschleuse ist man mitten im Atombunker, der der Führungsriege eine Zeitlang das Überleben sichern sollte. Wie lange man dort hätte aushalten können, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. »Anhand der geplanten Vorräte gehen wir von einer Verweildauer bis zu zwölf Monaten aus«, sagt Muço. Ein großer Wassertank mit umfangreichen Filtern und eine aufwändige Frischluftfilteranlage hätten das Überleben sichergestellt. Neben 106 Räumen beherbergt der Bunker auch eine Versammlungshalle, in der das albanische Parlament hätte Platz nehmen sollen. Über Treppen wandert man durch den Berg und überwindet dabei fünf Stockwerke, stellenweise ragt der Berg über dem Bunker mehr als 100 Meter auf.

Fernseher

Das Fernsehprogramm im Bunker lässt zu wünschen übrig.

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Guido Sprügel

Zunächst gelangt man zu den Räumlichkeiten für Enver Hoxha und seine Frau Nexhmije Hoxha, die immer noch lebt. Die Räume sind identisch aufgebaut wie die für den damaligen Ministerpräsidenten Mehmet Shehu. Kurz nach Fertigstellung des Bunkers fiel dieser allerdings in Ungnade und tötete sich schließlich 1981 angeblich selbst. Einziger Unterschied der beiden Bunkerbehausungen ist die Wand­vertäfelung. »Für Enver Hoxha wurde eine damals teure Kunststoffverkleidung verwendet, während Shehu nur eine Holzvertäfelung erhielt«, erzählt Senada Murati, die Managerin von Bunk’Art. Hässlich ist beides. Die restlichen Räume des Bunkers enthalten meist nicht mehr die ursprüngliche Möblierung. In ihnen wird auf unzähligen Ausstellungswänden sowie in vielen Video- und Klanginstallationen die jüngere Geschichte Albaniens erzählt: von der Monarchie über die italienische und deutsche Besatzung bis zur Volksrepublik. Immer wieder wird dies ­untermalt von typischen Bunkergeräuschen wie Sirenenalarm. Vorbei an Ausrüstung und Gerätschaften für den Betrieb des Bunkers aus vor allem chinesischer Produktion – vom Aktivkohlefilter bis zum Thermometer –, gelangt man zur großen Versammlungshalle. Diese dient heute als Veranstaltungsort. Am Rand der Halle ausgestellt ist neben dem albanischen Mutterkreuz, das Müttern von mehr als sieben Kindern verliehen wurde, der Skanderbeg-Orden, wie ihn die Volksrepublik verlieh.

Der zweite Teil der Ausstellung betont dann deutlich den Kunstanteil des Ausstellungskonzepts. In Räumen, die einst für Offiziere vorgesehen waren, setzen sich Künstlerinnen und Künstler mit der wechselvollen Geschichte Albaniens auseinander. Im Wesentlichen mit der stalinistischen Periode von Lagern, Verfolgung und Abschottung des Landes. Man schätzt, dass an den albanischen Grenzen rund 1 000 Menschen bei Fluchtversuchen getötet wurden. Nach einem langen Gang tritt man am anderen Ende des Bergs wieder ans Tageslicht. Der mod­rige Geruch bleibt jedoch noch länger in der Nase. Hoxha hat in dem Bunker nie übernachtet. Zweimal nahm er dort jedoch an Militärübungen teil.

Vorsicht, Staatsterror
Der zweite atombombensichere Regierungsbunker wurde für den Innenminister direkt im Zentrum von Tirana angelegt. Mit dem Bau wurde 1981 begonnen. Als der Bunker schließlich 1986 fertiggestellt war, lebte Hoxha schon nicht mehr. Dieser Bunker sollte den gesamten Stab des Innenministers im Falle eines atomaren Angriffs schützen. Bis heute ist nicht klar, ob Hoxha wirklich mit einem atomaren Erstschlag gegen Albanien rechnete. Über konkrete Angriffspläne der Nato oder des Warschauer Pakts ist nichts bekannt.

Fotografieren kann man damit nicht. So sahen früher Telefone aus.

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Guido Sprügel

Die Ausstellung Bunk’Art 2 folgt demselben Konzept wie die am Rande der Stadt. Sie vereint Geschichte mit Kunst. Dem Zweck der Unterbringung des Innenministeriums angemessen, beschäftigt sich die Ausstellung im Bunker ausschließlich mit der Polizei und den Geheimdiensten. Neben einem kurzen Blick auf die Vorkriegs- und Kriegszeit geht es im Wesentlichen um den Terror, den die Polizei und die »Direktion der Staatssicherheit«, die Geheimpolizei Sigurimi, während der sozialistischen Herrschaft verbreiteten. »Vom Bunker wusste in Tirana niemand etwas. Der Eingang lag direkt im Innenministerium, so dass von außen nichts zu sehen war«, sagt Nipolli, der beim Umsturz im Jahr 1991 gerade 13 Jahre alt war.

Unter bis zu 240 Zentimeter hohen Betondecken befinden sich 24 Räume, die zum Teil sehr berührend vom Schicksal der Inhaftierten und Verfolgten in Albanien erzählen. An einigen Türen wurden eigens Warnhinweise platziert, damit Eltern ihre Kinder zumindest vorwarnen können oder sie besser noch vom Eintreten abhalten. Allein 36 Foltermethoden werden detailliert beschrieben. Überlebende Opfer kommen in Videos zu Wort. Manche von ihnen zum ersten Mal, denn die Aufarbeitung dieses Kapitels ist noch lange nicht abgeschlossen. Auch gegen das Museum selbst gab es Vorbehalte. Viele Albanerinnen und Albaner wollten nicht an die schrecklichen Dinge erinnert werden, die dort passiert sind, sagte Ergys Gezka von Qendra Ura im Fernsehsender MDR.

Ausgestellt sind auch originale Trainingsgeräte der Polizei. Ein schwarz-gelb geblümter Mantel diente der Abrichtung von Hunden für den Grenzschutz. Bei der Bespitzelung der eigenen Bevölkerung stand die Sigurimi der Stasi in nichts nach. Die Repression war umfassender und härter als in den meisten anderen realsozialistischen Staaten. Man kann erahnen, wie bedrückend das Leben in Albanien gewesen sein muss.

Originale Einrichtungsgegenstände erzählen daneben in beiden Bunkern vom Alltag in Albanien. »Es sah in jedem albanischen Wohnzimmer gleich aus. Die Möbel waren immer exakt die gleichen. Und es gab auch nur drei Fernsehmodelle, die von 18 bis 22 Uhr genau einen Sender empfangen konnten«, erzählt Muço, die die Besucher auf Englisch und Albanisch durch die Ausstellung führt. Kunstinstallationen widmen sich kritisch der allseitigen Überwachung. Auch in diesem Bunker hat nie ein Regierungsvertreter übernachtet. Man ist nach dem Rundgang froh, wieder im lebhaften Tirana zu sein.