»Extinction Rebellion« und »Change for Future«

Jenseits von Greta

Die »Fridays for Future«-Bewegung beginnt, sich auszudifferenzieren. Manche suchen radikalere Formen des Protests.

An einem Montag Mitte April war an der Oberbaumbrücke, die die Berliner Stadtteile Kreuzberg und Friedrichshain verbindet, für Stunden kein Durchkommen. Es lag nicht am üblichen ­Berufsverkehr – mehrere Hundert Klimaaktivisten hatten die Brücke blockiert. Das geschah im Rahmen der transnationalen »Rebellion Week«. Sie wurde von einer Bewegung initiiert, die sich »Extinction Rebellion« nennt, also sinngemäß Rebellion gegen das Aussterben oder auch gegen das Artensterben. Das Symbol der Bewegung ist eine Sanduhr, die anzeigen soll, dass die Zeit für eine Änderung in der ­Klimapolitik knapp wird.

Die neue Umweltbewegung ist auch von apokalyptischem Denken geprägt – wie im Spätmittelalter, als der Totenkult all­gegenwärtig war.

Der Schwerpunkt der Proteste Mitte April lag in London, wo auch zahlreiche Menschen bei Akten des zivilen Un­gehorsams festgenommen wurden. In Berlin trug die Polizei die Blockierer von der Straße, nahm sie aber nicht fest. Die Stimmung war entspannt. Man hatte zeitweise den Eindruck, man wäre auf einer Friedensdemonstration. ­»Eigentlich hatte man eine andere Brücke blockieren wollen, was wegen ­eines großen Polizeiaufgebots verhindert wurde«, sagte ein Mitorganisator der Proteste der Jungle World. Daher habe man sich für die Oberbaumbrücke entschieden.

Kaum einer der Beteiligten wusste, dass bereits in den frühen neunziger Jahren außerparlamentarische Gruppen unter dem Motto »Oberbaumbrücke bleibt Stadtringlücke« gegen die Öffnung der Brücke für den Autoverkehr protestiert hatten. Damals gab es eine mehrtägige Besetzung. Die Anhänger von »Extinction Rebellion« betrachten die Proteste am 15. April in Berlin als Erfolg, auch wenn sich nur wenige Hundert Menschen daran beteiligten. Man sehe sich nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu »Fridays for Future« (FFF), der Bewegung von Schülerinnen und Schülern für den Klimaschutz, sagte eine Teilnehmerin. Um über die wöchentlichen Freitagsdemonstrationen hinauszukommen, habe unter den Aktiven eine Perspektivendiskussion begonnen. »Wir hatten jetzt die maximale mediale Aufmerksamkeit. Viele Politiker haben bekundet, uns zu unterstützen. Wir wurden teilweise mit Lob und Glückwünschen überhäuft«, berichtete eine Studentin, die sich an den Freitagsdemonstrationen beteiligt. Ihr sei, wie vielen ihrer Mitstreiter, klar, dass sich die mediale Aufmerksamkeit der ersten Wochen auf die Dauer nicht aufrechterhalten lasse. Zudem seien vor allem viele der sehr jungen Protestteilnehmer enttäuscht, dass es trotz vieler schöner Worte wenig handfeste Zusagen für eine Änderung in der Klimapolitik gibt.

»Die jungen Menschen machen jetzt die gleichen Erfahrungen wie wir vor mehr als 20 Jahren«, sagt Ruben Lehmann. Er war in der Jugendumwelt­bewegung der neunziger Jahre aktiv, die jährlich die Jugendumweltkongresse (Jukss) veranstaltete. Anfangs waren noch große Umweltorganisationen wie die BUND-Jugend beteiligt, die sich im Laufe der Jahre zurückzogen. Ein großer Teil der Jugendumweltbewegung bezeichnete sich in den späten neunziger Jahren als ökoanarchistisch. Doch die Zersplitterung führte dazu, dass sich viele der Aktiven der ersten Stunde entweder ganz zurückzogen oder in Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ein neues Tätigkeitsfeld suchten.

Jörg Bergstedt aus der Projektwerkstatt Saasen in Hessen kritisierte die Entradikalisierung der damaligen Umweltbewegung. Sie habe sich in der großen Mehrheit auf Lobbyarbeit konzentriert und direkten Widerstand vernachlässigt, so Bergstedt. Er hatte ­bereits 1999 unter dem Titel »Agenda, Expo, Sponsoring« mit Thomas Schmidt und Jörn Hartje ein Buch herausgegeben, das »Perspektiven für eine radikale, emanzipatorische Umweltpolitik« bieten sollte. »Unabhängig statt anbiedernd an die Mächtigen, offensiv in die Öffentlichkeit tragend, welche Prozesse die Umwelt gefährden, solidarisch zu anderen Bereichen der Gesellschaftspolitik, weil Ausbeutung von Natur und Menschen gemeinsame Ursachen haben«, beschrieben die drei Autoren das Minimalprogramm einer linken Umweltpolitik.

Die Gesellschaftsanalyse der antikapitalistischen Klimaschützer ist reichlich unterkomplex.

Im Gespräch mit der Jungle World verweist Bergstedt aber auch auf aus ­seiner Sicht positive Aspekte: »Die damalige Jugendumweltbewegung war von unten gewachsen, aus vielen Hundert, wahrscheinlich sogar über 1 000 Basisgruppen, die lokale Erfahrungen gesammelt hatten und sich zusammenschlossen. Sie waren aus der Erfahrung, selbstorganisiert handlungsfähig zu sein, nicht von starken Zentralen abhängig und sehr skeptisch gegen Führung und Vereinnahmung eingestellt.«

Das sei bei der FFF-Bewegung ganz anders, so Bergstedt. Die Umweltverbände seien zwar heutzutage nicht mehr so stark, dass sie großen Einfluss auf die neue Bewegung nehmen könnten. Er befürchte aber, dass es Bewegungsmanagern und modernen Aktionsagenturen wie Campact leichtfallen werde, die Bewegungen zu übernehmen. Als Beispiel nannte er Luisa Neubauer, die Mitglied bei den Grünen und der Schulzeit schon lange entwachsen ist und dennoch zum Sprachrohr von FFF in Deutschland geworden ist, einer Bewegung, die eigentlich als Streikbewegung von Schülerinnen und Schülern gilt.

»Uns ging es um die Entwicklung inhaltlicher Positionen und organisatorischer Konzepte, die nicht nur die Ökologiefrage in den Mittelpunkt stellten, sondern genauso soziale Themen und vor allem die Machtfrage«, rekapituliert Bergstedt die Intentionen der Jugendumweltbewegung der neunziger Jahre.

Das ist auch der Anspruch der Plattform »Change for Future«, die sich zum Ziel gesetzt hat, antikapitalistische Positionen und systemkritische Im­pulse in die Bewegung »Fridays for Future« zu tragen. »Viele Punkte, für die viele Menschen innerhalb von FFF stehen oder die sie fordern, sehen wir als kritisch an. Konsumkritik oder Reformismus gehören zu den Dingen, die wir ablehnen, weil sie keine umfassenden Lösungen unserer Probleme sind«, sagte Roman Schaaf von der Pressegruppe von »Change for Future« der Jungle World. Er betonte, dass man sich als Teil und Ergänzung sowohl von FFF als auch von »Extinction ­Rebellion« verstehe. Bei »Change for Future« seien Anarchisten, Sozialisten und Kommunisten aktiv, die unterschiedliche Vorstellungen hätten. »In erster Linie eint uns die Überzeugung, dass der Kapitalismus nicht die Lösung sein kann«, so Schaaf. Nach eigenen Angaben ist »Change for Future« in über 30 Städten aktiv.

Die Gesellschaftsanalyse der antikapitalistischen Klimaschützer ist allerdings unterkomplex. Dort wird den Wirtschaftsmanagern und Politikern »die Klasse der Lohnabhängigen, die kein Interesse an der Profitmaximierung ihrer Bosse hat«, gegenüber­gestellt. Das dürften die meisten Lohnabhängigen in Deutschland anders ­sehen, da sie die sozialpartnerschaftliche Ideologie teilen, derzufolge sie ­davon profitieren, wenn sie in einem im Konkurrenzkampf erfolgreichen Unternehmen arbeiten.

Diese Vorstellungen wolle man argumentativ widerlegen, sagt Schaaf. In ihrem Grundsatzpapier ruft Change for Future zur Teilnahme an den Gewerkschaftsdemonstrationen am 1. Mai auf. »Dies wird ein wichtiger Berührungspunkt von FFF mit der Klasse der Lohnabhängigen. Aber es ist nicht der einzige Berührungspunkt«, so Schaaf. »Wenn FFF beispielsweise gegen die Hauptversammlungen von Umweltzerstörern wie Bayer und RWE demonstriert, werden auch Arbeiterinnen und Arbeiter der jeweiligen Unternehmen mitdemonstrieren«, glaubt er.

Nicht kritisiert wird in dem Aufruf das apokalyptische Denken innerhalb der FFF-Bewegung, wie es besonders auch bei »Extinction Rebellion« zum Ausdruck kommt. Das fängt schon beim Namen an – eine Bewegung gegen das Aussterben mit einer Sanduhr als Symbol erinnert an Bewegungen des Spätmittelalters, als der Totenkult all­gegenwärtig war und die Erwartung des Welt- beziehungsweise Menschheitsuntergangs in den verschiedensten Formen zelebriert wurde. Dass sich ein solches apokalyptisches Denken heutzutage in der Umweltbewegung wieder durchsetzt, liegt aber auch an den Fehlern einer Linken, die historisch ­allzu oft unkritische Industrieverherrlichung betrieben und dem Fetisch möglichst hoher Produktionszahlen gehuldigt hat – zu Recht wurde etwa die Forderung Josef Stalins, die Sowjetunion müsse die USA in der Tonnage produzierter Güter überholen, als »Tonnenideologie« kritisiert.