Imprint - Abdruck aus »Wolfssteig«

Kampf in Wolfssteig

Naturpark, Flüchtlingsunterkunft oder Rückübertragung von Eigentum: Über die Nutzung eines ehemaligen Truppenübungsplatzes in der österreichischen Provinz entbrennt ein Streit.

Früher hatte Wolfssteig vom Truppenübungsplatz gelebt. Von drei Seiten vom Sperrgebiet umgeben, hatte sich der Ort darin eingenistet wie ein ­Parasit in der Speckfalte seines Wirts. Die Straße zur Kaserne war die Ader gewesen, die Wolfssteig mit Leben versorgte. Als dem Truppenübungsplatz sukzessive die Mittel gestrichen wurden, starb das Dorf langsam mit. Seit kurzem pendelten die Wolfssteiger aber wieder zwischen Kaserne und Ort. Einige Dorfbewohner arbeiteten als Betreuer im Heim, Einheimische wurden bei Bewerbungen vorgereiht. Die Landesregierung hatte außerdem durchgesetzt, dass sich das Heim mit Produkten aus der Region versorgen musste. Die Betreiberfirma hatte zwar beim Innenministerium dagegen protestiert, aber vergeblich. Die Dinge des täglichen Bedarfs kauften die Asylwerber direkt im Ort und sorgten für Umsatz in den Geschäften. Der lokalen Wirtschaft tue das gut, beteuerte der Bürgermeister bei jeder Gelegenheit. Einige Bürger trauten dem vermeintlichen Aufschwung trotzdem nicht. In Wolfssteig hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass demnächst eine Filiale von Western Union hier aufmachen würde. Dann würden die Asylwerber ihr Verpflegungsgeld nach Hause überweisen und es wäre vorbei mit der Entwicklungshilfe für den Ort.

Täglich wanderten die Bewohner des Asylheims die langgezogene Straße auf und ab. Zum Einkaufen, zur Post, aus Langeweile. Dreißig Kinder aus dem Haus gingen seit Schulbeginn in die Volksschule, mehr als zwanzig Jugendliche besuchten die Hauptschule. Es wurden eigens neue Klassen eingerichtet und zusätzliche Lehrer angestellt. Ulrich fuhr die Strecke ins Feld nur noch selten alleine.

Neulich hatte er eine siebenköpfige Familie mitgenommen, die zum Einkaufen im Ort gewesen war. Der Vater saß mit der Kleinsten auf dem Schoß auf dem Beifahrersitz, die Mutter und die anderen vier Kinder quetschten sich auf die Rückbank. Beim Aussteigen schüttelten ihm alle die Hand.

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