Atomwaffenfähige Jets

Welcher Bomber darf’s denn sein?

An der Diskussion über die Beschaffung neuer atomwaffenfähiger Flugzeuge für die Bundeswehr zeigt sich: Die Bundesregierung mag sich nicht mehr auf die USA verlassen, hat aber derzeit auch keine wirkliche Alternative.

Hat Deutschland Atomwaffen? Selbstverständlich nicht. Doch stellt man eine etwas andere Frage – könnte die Bundeswehr im Ernstfall Atomwaffen einsetzen? –, lautet die Antwort: ja. In einem Fliegerhorst der Luftwaffe in der Nähe des Dorfs Büchel in der Eifel lagern etwa 20 Wasserstoffbomben vom Typ B-61. Sie haben ein Mehrfaches der Sprengkraft der Bombe von Hiroshima. Im Kriegsfall könnten deutsche Tornado-Kampfjets mit ihnen bestückt werden, und deutsche Piloten würden sie ans Ziel bringen.
Die Bomben gehören allerdings den USA, ohne deren Zustimmung sie nicht eingesetzt werden können. »Nukleare Teilhabe« nennt man das, in Deutschland gibt es diese seit den fünfziger Jahren. Nach dem Ende des Kalten Kriegs wurde die nukleare Teilhabe deutlich reduziert, doch noch immer beteiligen die USA mehrere Nato-Länder an ihren Atomwaffen, sogar die Türkei. Die Nut­zung unterliegt stets dem Zwei-Schlüssel-­Prinzip, das heißt sowohl die USA als auch das Nehmerland müssen dem Einsatz zustimmen.

Die Frage des Tornado-Nachfolgers verweist auf die vertrackte militärisch-strategische Lage Deutschlands.

Über Atombomben hat die breite Öffentlichkeit in Deutschland in den vergangenen Jahren nur selten diskutiert. Doch das dürfte sich ändern, denn der Tornado-Kampfjet muss bald ausgemustert werden. Es war das einzige Modell der Bundeswehr, das von den USA für die Verwendung US-amerikanischer Atombomben lizenziert war. Seit über einem Jahr berät die Bundesregierung schon darüber, welcher Jet den Tornado ersetzen soll. Bald soll eine Entscheidung getroffen werden. Doch was auf den ersten Blick als simple Anschaffungsfrage erscheint, steckt voller strategischer und industriepolitischer Tücken.

Die nächstliegende Möglichkeit wäre das Modell F-35, ein Mehrzweckkampfflugzeug des US-amerikanischen Herstellers Lockheed-Martin der sogenannten fünften Generation. Das ist zwar unfassbar teuer, aber technisch auf dem neuesten Stand. Die meisten anderen Nato-Staaten kaufen ebenfalls dieses Modell, und es wäre durchaus praktisch, wenn die gesamte Nato denselben Flieger benutzen würde.

Doch im Januar hat die Bundesregierung kategorisch ausgeschlossen, den Jet F-35 anzuschaffen. Die Entscheidung ging nicht zuletzt auf den Druck des französischen Rüstungskonzerns Dassault und des deutsch-französischen Flugzeugherstellers Airbus zurück. Einen in Europa hergestellten Kampfjet der fünften Generation, der mit dem F-35 vergleichbar wäre, gibt es zwar nicht, Deutschland und Frankreich planen aber, bis 2040 ein eigenes Modell der sechsten Generation zu entwickeln, das den F-35 noch in den Schatten stellen soll. Auch Spanien, das ebenfalls an Airbus beteiligt ist, nimmt an diesem Projekt teil.

Entwickelt werden soll nicht lediglich ein Flugzeug, sondern ein fliegendes Kampfsystem, das »Future Combat Air System« (FCAS). Es besteht aus einem Kampfjet und einem Schwarm unbemannter Drohnen – mit all der Künstli­chen Intelligenz und den Hightech-Kommunikationssystemen und -Sensoren, die dafür nötig sind. Das System wird von Dassault und Airbus gemeinsam entwickelt.

Sie fürchten, dass ihrem Projekt Ressourcen geraubt würden, sollte das Verteidigungsministerium den F-35 anschaffen.
Trotz allem braucht die Luftwaffe dringend eine Zwischenlösung, denn die Tornados müssen spätestens ab 2025 ausgemustert werden. Die Wahl bleibt nun zwischen dem F-18 von Boeing und dem Eurofighter – zwischen einem US-amerikanischen und einem europäischen Modell also. Keines der beiden ist vom Pentagon für US-amerikanische Atombomben lizenziert, beim F-18 ließe sich das aber vermutlich um einiges einfacher bewerkstelligen. Auch würde man damit einen Schritt auf die USA zugehen. Aus militärischer Sicht ist es zudem sinnvoll, nicht nur von einem Waffensystem abhängig zu sein, sich also neben den Eurofightern noch US-amerikanische Modelle zuzulegen. Im April sprach sich zumindest der einflussreiche CDU-Bundestagsabgeordnete Johann Wadephul für den F-18 aus.

Die Frage des Tornado-Nachfolgers verweist auf die vertrackte militärisch-strategische Lage Deutschlands, nun da »die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten«, vorbei sind – so formulierte es Bundeskanzlerin Angela Merkel 2017. Wenn Deutschland auch in Zukunft machtpolitisch eine globale Rolle spielen will, so lautete Merels Botschaft, wird es sich nicht mehr auf seinen Status innerhalb des von den USA angeführten Westens beschränken können. Es wird eigene Machtmittel aufbauen müssen, und das wiederum geht nur in europäischer Kooperation. Wie Merkel es ausdrückte: »Wir müssen selber für unsere Zukunft kämpfen, als Europäer, für unser Schicksal.«

In der EU gab man die Losung der »stra­tegischen Autonomie« aus. Europa solle militärisch unabhängiger werden – innerhalb der Nato, nicht gegen sie, wie stets betont wurde. Der oft im selben Atemzug genannte Slogan von der Schaffung einer »europäischen Armee« hat freilich wenig mit der Realität zu tun: Die Nato-Kommandostrukturen gibt es nach wie vor, Deutschland und Frankreich sind von einem gemeinsamen Militärapparat noch immer weit entfernt. Doch in der Industriepolitik tut sich etwas. Das FCAS ist das Herzstück einer Strategie der Vereinheitlichung und Kooperation in der europäischen Rüstungsindustrie. Diese Entwicklung rührt auch daher, dass ein Land allein die enormen Kosten der Waffen der Zukunft schlicht nicht mehr aufbringen kann.

Doch gerade in der Frage der Atombewaffnung sind der »strategischen Autonomie« enge Grenzen gesetzt. Frankreich verfügt zwar über eigene Atomwaffen, doch diese zu EU-Atomwaffen zu machen, würde entweder bedeuten, dass sich Deutschland von Frankreich abhängig macht, oder dass Frankreich die alleinige Souveränität über sein Nukleararsenal aufgibt. Beides wäre nur schwer zu arrangieren. Und so wird Deutschland vermutlich auch in Zukunft auf die USA angewiesen sein.

Dabei dürfte die Frage der Nuklearstrategie künftig an Bedeutung gewinnen. Im Februar kündigten die USA offiziell den INF-Sperrvertrag auf, in dem sie und Russland sich zur kompletten Abschaffung von atomaren Mittelstreckenraketen verpflichtet hatten. Begründung: Russland verstoße bereits seit langem gegen den Vertrag. Nun könnte ein neues atomares Wettrüsten in Europa bevorstehen.

US-amerikanische Atombomben sind in Deutschland ein heikles Thema. Bereits in den fünfziger Jahren hatte die Stationierung dieser Waffen zu Protesten geführt. In den Achtzigern entstand als Reaktion auf den Beschluss, neue Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing-II zu stationieren, eine Friedensbewegung, die Hundertausende auf die Straße brachte. Die Linkspartei und die Grünen sind offiziell gegen die nukleare Teilhabe und auch in der SPD gibt es eine Strömung, die sie beenden möchte. Als der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz im zurückliegenden Bundestagswahlkampf der Niederlage entgegensah, forderte auch er, die nukleare Teilhabe zu beenden. Später, als die SPD erneut eine Koalition mit CDU und CSU bildete, gab sie sich in der Frage wieder fügsam.

Das SPD-geführte Finanzministerium setzte für 2020 eine geringere Erhöhung der Militärausgaben an als ursprünglich vorgesehen. Nur zwei Milliarden Euro mehr sollen es sein – eigentlich hätte der deutsche Militäretat um vier Milliarden Euro auf 47,2 Milliarden steigen sollen, damit er dann spätestens 2025 anderthalb Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht – das wären etwa 50 Milliarden Euro. Doch ob es im kommenden Jahr nun zwei oder vier Milliarden mehr sein werden: Deutschland rüstet auf.