Treffen rechtsexremer Parteien in Mailand

Allianz der Widersprüche

Zum Abschluss seines Europawahlkampfs rief Italiens Innenminister Matteo Salvini in Mailand Spitzenkandidaten der europäischen Rechtsextremen zusammen. Trotz Korruptionsskandalen liegt seine Partei Lega in Umfragen vor den Europawahlen in Italien weit vorne.

Eine Woche vor den Wahlen zum EU-Parlament verregnete es dem Vorsitzenden der Partei Lega, Matteo Salvini, den Wahlkampfabschluss, zu dem er die Spitzenkandidaten der europäischen Rechtsextremen eingeladen hatte. Der Auftritt vor dem Mailänder Dom am Samstag sollte die zukünftige gemeinsame Fraktion »Europäische Allianz der Völker und Nationen« vorstellen, die für eine neue souveränistische europäische Ordnung eintreten soll. Doch die Teilnehmerzahl blieb weit unter der angekündigten Marke von 100 000 Menschen, 20 000 sollen es gewesen sein. Weder die antimuslimische Hetzrede Geert Wilders’, des Vorsitzenden der niederländischen Partei für die Freiheit (PVV), noch die auf italienisch vorgetragene Selbstinszenierung der Vorsitzenden des französischen Rassemblement National (RN), Marine Le Pen, als Jeanne d’Arc des christlichen Abendlands, begeisterte die Menge.

Die Distanzierung des M5S von der Lega reicht nur so weit wie unbedingt nötig, um mit dem Partito Democratico (PD) um die liberale Wählerschaft der Mitte rivalisieren zu können.

Die Grußworte der kleineren, überwiegend osteuropäischen rechten Parteien wurden von ungeduldigen »Matteo, Matteo«-Rufen übertönt. ­Allerdings schlug auch der Gastgeber eher verhaltene Töne an, um die internen Widersprüche der rechten Allianz zu umgehen, beispielsweise hinsichtlich der europäischen Austeritätspolitik, wie sie von dem in Mailand ebenfalls anwesenden AfD-Spitzenkandidaten, Jörg Meuthen, vertreten wird. Salvini stellte daher den »Grenzschutz« als unstrittigen gemeinsamen Bezugspunkt der rechten Allianz in den Mittelpunkt seiner Rede. Gegen die immer lauter werdende Kritik aus dem Vatikan verteidigte er das italienische Grenzregime, das er als Innenminister installiert hat, als Politik des »gesunden Menschenverstands« gegen »Schlepperbanden«. Dass er dabei einen Rosenkranz zum Himmel reckte und den Beistand der heiligen Jungfrau erbat, wurde anderntags in den katholischen Tageszeitungen einhellig kritisiert.

Mehr als der wolkenverhangene Himmel und mehr, als die Veranstalter ­zugeben wollten, sorgte jedoch der Rücktritt des österreichischen Vizekanzlers und FPÖ-Vorsitzenden, Heinz-Christian Strache, wenige Stunden vor Beginn der Kundgebung für gedämpfte Stimmung (siehe Seite 13). Der Skandal um das heimlich aufgenommene Video, in dem Strache einer angeblichen russischen Geschäftsfrau Staatsaufträge als Gegenleistung für finanzielle Zuwendungen an die FPÖ verspricht, kommt für Salvini, einen Verehrer des russischen Präsidenten Wladimir Putin, besonders ungelegen. Nun wird die Kritik an dem 2017 abgeschlossenen Kooperationsvertrag zwischen der Lega und Putins Partei Einiges Russland wieder lauter. Die Machenschaften der österreichischen Verbündeten Salvinis rücken außerdem die zahlreichen in den vergangenen Wochen eingeleiteten Ermittlungsverfahren gegen ranghohe Partei- und Regierungsvertreter der Lega wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch und Korruption in ein neues Licht. Erst Anfang Mai musste Armando Siri, ein enger Vertrauter Salvinis, auf Druck des Koalitionspartners Mo­vimento 5 Stelle (M5S) seinen Posten als Staatssekretär im Verkehrsministerium räumen. Ihm wird vorgeworfen, von einem Unternehmer, der seinerseits mit der sizilianischen Mafia in Verbindung gebracht wird, Schmiergeldzahlungen angenommen zu haben.

Mit der Entlassung Siris ist es dem M5S erstmals gelungen, sich gegen den übermächtig scheinenden Koalitionspartner durchzusetzen. Die Standhaftigkeit bei einem der Gründungsthemen des M5S, dem Kampf gegen korrupte Staats- und Parteiapparate, hat ihm in Umfragen einen kleinen Aufschwung beschert. Seither sucht die Fünf-Sterne-Bewegung ihr eigenes Profil wieder deutlicher hervortreten zu lassen, vor allem der klerikalfaschistischen Familienpolitik der Lega will sie entschlos­sener entgegentreten. Ungewohnt selbst­bewusst erklärte der parteilose Minis­terpräsident Giuseppe Conte in einem Interview mit der spanischen Tageszeitung El País, der Eindruck, bisher habe der Innenminister die Regierungsgeschäfte geführt, sei eine »optische Täuschung«.

Allerdings trägt der M5S den wichtigsten gemeinsamen Programmpunkt der europäischen Rechtsextremen weiterhin mit. Als Salvini vergangene Woche dem Rettungsschiff »Sea-Watch 3« die Einfahrt in den Hafen von Lampedusa verweigerte und nur die Aufnahme von »Vätern, Müttern und Kindern« garantierte, billigte der M5S das Vorgehen mit dem Verweis auf die Notwendigkeit einer europäischen Lösung. Letztlich sorgte die sizilianische Staatsanwaltschaft durch die vorübergehen­de Beschlagnahmung der »Sea-Watch 3« dafür, dass alle Geretteten in Italien an Land gehen konnten. Unklar ist derzeit, ob der M5S das von Salvini vorgelegte »Sicherheitspaket 2« tatsächlich ablehnen oder aus wahltaktischen Gründen die Abstimmung lediglich auf kommenden Monat verschieben wird. Der Gesetzentwurf sieht vor, die Seenotrettung weiter zu kriminalisieren, un­ter anderem sollen den Schiffsbe­treibern zukünftig Geldstrafen bis zu 5 000 Euro für jeden nach Italien verbrachten Geretteten drohen.

Zugleich wird der gesellschaftliche Protest gegen Salvinis drastische Grenzpolitik und seine offene Sympathie für militante, faschistische Bewegungen lauter. Die Zunahme öffentlicher Unmutsbekundungen verdankt sich vor allem den nervösen Überreaktionen des Innenministers selbst. Erst seit er anlässlich einer Wahlveranstaltung ein in Sichtweite aufgehängtes kritisches Trans­parent an einem privaten Balkon von der Feuerwehr abnehmen ließ, ist das Aufhängen von Leintüchern mit kritisch-ironischen oder antifaschistisch-kämpferischen Parolen zu einer landesweit verbreiteten Geste des Widerstands geworden. Doch weder diese privaten Proteste noch offen linke, an­tifaschistische Demonstrationen, die vornehmlich von feministischen und ­antirassistischen Basisgruppen getragen und – wie am Samstag in Mailand – gleich­zeitig mit den Auftritten Salvinis organisiert werden, finden bisher nennenswerte parteipolitische Unterstützung.

Der Vorsitzende des M5S, Wirtschaftsminister Luigi Di Maio, lehnt den auf die Straße getragenen Konflikt ­zwischen »Extremisten« ausdrücklich ab, er schade den ökonomischen und kulturellen Interessen des Landes. Die Distanzierung des M5S von der Lega reicht nur so weit wie unbedingt nötig, um mit dem Partito Democratico (PD) um die liberale Wählerschaft der gesellschaftlichen Mitte rivalisieren zu können. Seit Nicola Zingaretti im März zum neuen Vorsitzenden des PD gewählt wurde, ist die­ser für den M5S wieder ein ernstzunehmender politischer Konkurrent geworden. Zingaretti ist es gelungen, für die Europawahl ein breites Mitte-links-Bündnis zu bilden, an dem sich im Namen einer Allianz gegen die ultrarechten Hegemoniebestrebungen neoliberale Christ- und Sozialdemokraten ebenso beteiligen wie Vertreter verschiedener Linksabspaltungen des PD.

Eine zweite Liste, die dezidiert als »La Sinistra« (Die Linke) zur Europawahl antritt, muss hingegen fürchten, an der Sperrklausel von vier Prozent zu scheitern. Denn viele kleinere linksradikale Gruppierungen, insbesondere die regionalen Gruppen der Sammlungsbewegung Potere al Popolo (Macht dem Volk), sind linke Souveränisten, die die europäischen Verträge radikal ablehnen und jede Zusammenarbeit mit proeuropäischen, »reformistischen« Linken zurückweisen. Auch die trans­europäische Bewegung DiEM25 des ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis war den italienischen Linkspopulisten letztlich zu EU-freundlich, so dass keine Gruppe unter diesem Label zur Europawahl antreten wollte.

Nach der jüngsten Wahlumfrage könnte die Lega trotz aller Korruptionsskandale ihr Ergebnis der Parlamentswahlen im März 2018 in Höhe von 17 Prozent der Stimmen nahezu verdoppeln. Dem M5S werden dagegen Verluste bis zu zehn Prozentpunkten prognostiziert; er wird, wie der PD, voraussichtlich nur noch auf circa 20 Prozent der Stimmen kommen. Offen bleibt, welche Konsequenzen diese Umkehrung der Kräfteverhältnisse für das italienische Regierungsbündnis haben wird. Bisher scheint der M5S nicht gewillt, das Regierungsbündnis mit den Rechtsextremen in Frage zu stellen. Umgekehrt zeigt sich der PD nicht bereit, zumindest Teile des M5S herauszufordern, über eine politische Alternative zu verhandeln, indem er entsprechende Gesetzentwürfe vorlegt.