Die schwedische Nordische Widerstandsbewegung entwickelt sich zur Nazisekte

Sekte statt Nazistaat

Die neonazistische Nordische Widerstandsbewegung in Schweden stagniert personell und blieb bei Wahlen erfolglos. Umso fester hält sie ihre Reihen geschlossen.

Die neonazistische Nordiska motståndsrörelsen (Nordische Widerstandsbewegung, NMR) bot mit ihren Demonstrationen am 1. Mai in Schweden ein Bild des Niedergangs. In Ludvika wurde die Veranstaltung mit 150 Teilnehmern von der Polizei abgebrochen, weil eine EU-Fahne in Brand gesetzt worden war. Vergangenes Jahr waren noch 350 Nazis durch die mittelschwedische Stadt marschiert. Auch in Kungälv im Südwesten und in Boden im Norden waren die von den grün-weißen NMR-Fahnen dominierten Märsche deutlich schlechter besucht als 2018.

Die Zahl der NMR-Kader ist nach Angaben der antirassistischen Zeitschrift Expo gleich geblieben. Es werde für die Gruppen der NMR aber immer schwie­riger, »die Menschen anzulocken, die nicht ihr ganzes Leben dem Nazismus weihen wollen«.
Der Plan, die von der NMR so ungeliebte Demokratie von innen zu zerstören, also durch die Teilnahme an Wahlen und die Arbeit in den Parlamenten, ist weitgehend gescheitert. Vergangenes Jahr trat die NMR zur schwedischen Parlamentswahl an. Mit für eine kleine Organisation erstaunlicher Häufigkeit schaffte sie es, Gegenstand von Medienberichten zu werden und damit die öffentliche Debatte mitzubestimmen. Trotzdem erhielt sie nur 2 106 Stimmen beziehungsweise 0,03 Prozent – weniger als alle anderen Splitterparteien. Auch in den drei Kommunen, in denen die NMR-Neonazis 2018 antraten, endete die Wahl mit einer Enttäuschung: Selbst in Ludvika, wo Nazis vor vier Jahren noch ein Mandat errangen, wird künftig kein Rechtsextremer im Kommunalparlament sitzen.

Es werde immer schwieriger für die Nazis von der NMR, heißt es in der Expo, und das klingt fast mitleidig: Es sei nicht sehr erstrebenswert, »stundenlang auf einem Platz zu stehen und ermüdenden Reden zuzuhören, während man von Menschen umringt ist, die alles, wofür man steht, verabscheuen«. Und wenn man dann noch Hunderte Kilometer entfernt wohne und niemanden bei der Demonstration kenne, bleibe man eben lieber zu Hause. »Der Nazismus ist dazu verdammt, ein Sektenbetrieb zu bleiben«, fasste Expo zusammen, warnte aber zugleich, dass »genau das eine Organisation wie die Nordiska motståndsrörelsen so gefährlich macht«. Statt die Massen anzulocken, schaffe man eine eigene Denkweise, in der Hass und Gewalt völlig normal seien. Aus der desperat werdenden Politsekte auszusteigen, werde für Mitglieder immer schwieriger, weil der Kontakt zu Familien und Freunden außerhalb der Organisation nach und nach abreiße und es keinen Schutz vor internem Druck und Sanktionen gebe.

Auch in seinem Ende April vorgelegten Jahresbericht über die Aktivitäten der schwedischen Naziszene gibt Expo keine Entwarnung. Demnach nahm die Zahl der registrierten Vor­fälle, in denen extrem rechte Propaganda ver­breitet wurde, in dem Land mit knapp zehn Millionen Einwohnern im Jahr 2018 leicht zu – auf 2 953 Vorfälle. Zudem kam es 2018 zu einem Anstieg aller Formen rechtsextremer Aktivitäten. Durch mehr Demonstrationen und Protestmärsche sowie verstärkte Verbreitung von Hasspropaganda erhielt die Szene große öffentliche Aufmerksamkeit. Intern versucht man, die Mitglieder durch in abwechslungsreiches Programm ­gewogen zu halten: Die Zahl der Vorträge und Schulungen nahm wie schon in den Jahren zuvor zu, ebenso wie das kampförberedande träning, also Wehrsport- und Schießübungen.

Die NMR dominiert die schwedische Naziszene nach Angaben der Expo weiterhin. Das liegt nicht nur daran, dass Misserfolge kaum Auswirkungen auf die Zahl ihrer aktiven Mitglieder haben. Was die Bewegung weiterhin gefährlich macht, ist ihre internationale Vernetzung: Oft beschrieben als »internationale Organisation mit Niederlassungen in allen nordischen Ländern«, liegt ihr eigentliches Ziel in der Erschaffung einer sich selbst versorgenden »nationalsozialistischen nordischen Re­publik, bestehend aus Schweden, Finnland, Norwegen, Dänemark, Island«. Gute Kontakte bestehen zudem nach Russland und nach Deutschland, vor allem zur neonazistischen Kleinpartei »Der III. Weg«.

Es ist bislang nicht gelungen, die Grup­pe vollständig zu entwaffnen oder ihre Mitglieder daran zu hindern, Waffenscheine zu erhalten. So zeigte ein NMR-Kader, der am 1. Mai als sogenannter Schildträger bei der Demonstration in Kungälv teilnahm, kürzlich auf seinem Instagram-Account das Foto einer Pistole – der Mann ist vermutlich Mitglied eines Schützenvereins.

Die schwedische Säkerhetspolisen, der dem Justizministerium unterstellte nationale Geheimdienst, warnt in seinem Jahresbericht 2018 ebenfalls vor wachsendem »Radikalnationalismus«. Ausländerfeindliche und nationalistische Ideen verbreiteten sich vor allem durch einschlägige Internetseiten und soziale Medien immer weiter in der Gesellschaft, dadurch würden gewaltbereite Gruppen Teil eines »breiteren Milieus«. Für eine große Gefahr hält der Inlandsgeheimdienst die NMR nicht. In ihrem Umfeld werde »weniger auf schwere Gewalttaten mit hohen Opferzahlen abgezielt, sondern mehr auf systematische, gezielte Anwendung von Gewalt, Drohungen und Belästigungen, mit dem Ziel, die demokratischen Strukturen zu zerstören oder abzuschaffen«. Gleichwohl warnt die Behörde: »Dass sich White Power-Gruppen und die nicht organisierten fremdenfeindlichen Milieus einander annähern, kann zu einem entscheidenden Faktor für Individuen werden, schwere Straftaten zu begehen.« Ahn-Za Hag­ström, die zuständige Analystin der Behörde, sieht eine große Gefahr vor allem in nicht zu den bekannten Gruppen gehörenden Einzeltätern, die zwar ohne feste Organisationsstruktur agierten, aber durch Nazipropaganda aufgehetzt würden.

Eine Konsequenz aus der Verbreitung von Hass und Hetze im Internet zogen die Ermittlungsbehörden bereits: Immer häufiger werden auch Postings auf Social-Media-Plattformen strafrechtlich verfolgt. Die NMR forderte daraufhin ihre Anhänger auf, sich Accounts beim russischen Netzwerk VK anzulegen: »Wenn du dort noch kein Konto hast, schaffe dir noch heute eines an und beginne damit, ohne politisch korrekten Filter zu netzwerken.«

Ganz so einfach funktioniert das Nazi-Networking aber auch dort nicht: Seit Anfang des Jahres wird unter anderem gegen einen langjährigen schwedischen NMR-Kader ermittelt, der auf VK zwei antisemitische Bilder gepostet haben soll. Bei einer Hausdurchsuchung fanden die Ermittler Propaganda­material der Nordiska motståndsrörelsen sowie eine kugelsichere Weste.