Die preisgekrönte Reportage

Wählen für Dummies

Die Deutschen vertrauen dem Wahl-O-Mat statistisch gesehen mehr als ihrem Arzt oder Anwalt. Kein Wunder, bedient er doch zwei wesentliche Grundbedürfnisse der Deutschen.
Kolumne Von

»Wer hat uns verraten? Wahlautomaten!« Dieser alte Spruch Bert Brechts erhielt in den vergangenen Tagen neue Bedeutung: Mit einer Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht erreichte die Adelspartei Volt, dass das pfiffige Wahlentscheidungstool »Wahl-O-Mat« kurzzeitig vom Netz genommen wurde. Die Beschränkung auf lediglich acht Parteien in der Ergebnisliste benachteilige kleinere Parteien unangemessen, so die unangemessen kleine Partei in ihrer Begründung. Nun wurden beim Wahl-O-Mat einige Stellschrauben nachgezogen, das Tool ist wieder online. Der Automatenhersteller freut sich, dass das »Informationsangebot Wahl-O-Mat wieder in gewohnter Weise« zur Verfügung steht.

Die Deutschen vertrauen dem Wahl-O-Mat statistisch gesehen mehr als ihrem Arzt oder Anwalt. Stünde der Wahl-O-Mat zur Wahl, bekäme er wahrscheinlich die absolute Mehrheit. Er bedient zwei wesentliche Grundbedürfnisse der Deutschen. Erstens stellt er eine obskure, allmächtige Autorität dar, die dem Deutschen sagt, was er zu tun und zu lassen hat. Und zweitens darf sein Nutzer sich in dieser totalen Unterwerfung noch als Individuum ­sehen, das einen eigenen Kopf hat.

Aber wie kam es eigentlich zur Einrichtung des Wahl-O-Mat? Schon Bismarck diskutierte mit Christian Tiedemann die Einführung »einer Apparatur, mit welcher der Pöbel die Weisungen der Obrigkeit als Gegenstand eigener Entscheidung« wahrnehmen könne. Sein Entwurf – eine Art Selbstmordmaschine mit acht Flinten in verschiedenen Farben – konnte sich im 19. Jahrhundert noch nicht durchsetzen. In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts war man technisch weiter. Es gab ein eigenes Ministerium für Nudging, und man konnte zwischen neun Rundfunkanstalten wählen, die alle dasselbe Programm hatten und eindeutige Wahl­empfehlungen (»Hitler«) gaben. Offenkundige Kinderkrankheiten.

Heute wird der Wahl-O-Mat vom Deutschen Bundestag persönlich befüllt. Die dafür verwendeten Parteiprogramme werden ausschließlich auf ökologisch unbedenklichem, faserreichen Altpapier mit Biofarben  gedruckt, was mitunter aber zu dem allseits gefürchteten Papierstau führen kann. Logisch, dass da die sechs verschiedenen Tierschutzparteien und ihr reichhaltiges Programm keinen Platz haben. Aber besser als eine richtige Demokratie ist es allemal!