US-Präsidentschaftswahlen 2020

Demokraten suchen den Superstar

In den USA bringen sich bei den Demokraten potentielle Präsidentschaftskandidaten in Stellung. Einigheit herrscht bei ihnen nur in einem Punkt: Donald Trump muss weg.

»Blue Wave Rolling« – die blaue Welle rollt. So lautete das Motto des Parteitags der Demokratischen Partei Kaliforniens, der vom 31. Mai bis 2. Juni im Moscone Convention Center in San Francisco stattfand. Ob die vielbeschworene »blaue Welle« tatsächlich im kommenden Jahr Präsident Donald Trump aus dem Amt zu spülen vermag, ist ungewiss. 14 der bislang 24 Anwärter auf die demokratische Präsidentschaftskandidatur waren nach San Francisco gekommen, um für ihre Sache zu werben. Sie kamen, um sich die Unterstützung linker Organisationen, Aktivisten und Gewerkschaften zu sichern und um bei einigen der insgesamt 495 Delegierten vorstellig zu werden, deren Stimmen sich im März nächsten Jahres bei den Vorwahlen in Kalifornien am »Super Tuesday« prozentual auf die Kandidatinnen und Kandidaten verteilen werden.

Bernie Sanders verliert an Rückhalt, denn die anderen Bewerberinnen und Bewerber haben ihn längst links überholt.

Die demokratischen Präsidentschaftsanwärterinnen und -anwärter kamen aus dem ganzen Land. Darunter Senator Bernie Sanders aus Vermont, die Senatorin Elizabeth Warren aus Massachusetts, der ehemalige texanische Kongressabgeordnete Beto O’Rourke, die aus Nordkalifornien stammende Se­natorin Kamala Harris, die beiden Bürgermeister Julián Castro aus Texas und Pete Buttigieg aus Indiana. Einigkeit herrschte vor allem bei einem Thema, nämlich der Kritik an Donald Trump. Die New Yorker Senatorin Kirsten Gillibrand warnte davor, dass der »Feigling« die »moralische Struktur des Landes« zerreiße. Der Kongressab­geord­nete Eric Swalwell fand, Trumps »Reality-TV-Präsidentschaft« müsse endlich »abgesetzt« werden. Beide bewerben sich ebenfalls um die Präsidentschaftskandidatur.

Die demokratische Basis hat für Trump nur Verachtung übrig, nicht wenige fordern die Amtsenthebung des Präsidenten. Die Kandidatinnen und Kandidaten nehmen den Ruf dankbar auf. »Wir müssen mit dem Amtsenthebungsverfahren beginnen«, so Kamala Harris vor jubelndem Publikum. Für viele Demokraten ist die Amtsenthebung eine Frage des Prinzips. Die kalifornische Kon­gressabge­ordnete Katie Hill sagte der Washington Post, sie »ertrinke« geradezu in Anrufen von Wählerinnen und Wählern, die auf eine Amtsenthebung dringen, und das, obwohl Hill einen eher republikanisch ge­prägten Wahlbezirk vertritt.

Immer wieder hält Nancy Pelosi, die Sprecherin des US-Repräsentanten­hauses, dagegen. »Wir sollten diesen Weg nicht einschlagen«, so Pelosi im März, »weil er das Land spalten würde«. Sie hält ein Amtsenthebungsverfahren für ein »Geschenk« an Trump, der sich dadurch als Märtyrer stilisieren könnte – abgesehen davon, dass die Einleitung eines solchen Verfahrens höchstwahrscheinlich im republikanisch kontrollierten Senat scheitern würde. Die Amtsenthebungsdebatte ist daher in erster Linie ein erbitterter Streit um Symbolik. Es ist also gut möglich, dass man Trump nur loswird, wenn man ihn abwählt. Aber dazu müssen sich die Demokraten zunächst auf einen Kandidaten oder eine Kandidatin einigen. Der Umgangston wird im beginnenden Vorwahlkampf merklich rauer. Elizabeth Warren hielt eine Wahlkampfveranstaltung auf der anderen Seite der Bay Bridge, im benachbarten Oakland, ab – und ging somit am Geburtsort von Kamala Harris auf Wählerfang. 7 000 Menschen kamen zu ihrer Rede. »Unser Land ist in einer Krise. Die Zeit der kleinen Ideen ist vorbei«, so Warren kämpferisch. Sie zählt, neben Joe Biden, Sanders, Buttigieg und Harris, bislang zu den aussichtsreichsten Anwärterinnen und Anwärtern auf das höchste Amt des Landes. Wer am Ende die Kandidatur der Demokratischen Partei ­gewinnt, ist noch völlig offen. Jüngsten Umfragen zufolge sind 67 Prozent der demokratischen Wählerinnen und Wähler noch unentschlossen, wem sie ihre Stimme geben werden, und der Kampf wird zweifellos hart werden.

Es sind mindestens 2 025 Delegiertenstimmen aus den ganzen USA nötig, um die Nominierung zu erhalten, und sollte es bis zum Parteitag der Demokraten im Juli kommenden Jahres keinen eindeutigen Spitzenkandidaten geben, kann es knifflig werden. Ende dieses Monats sollen die ersten Fernsehdebatten ausgestrahlt werden. Ein jeder versucht nun, eigene Positionen abzustecken. O’Rourke will Sturmgewehre verbieten, um endlich gegen die zahllosen Massenschießereien vorzugehen. Warren legte einen ausgefeilten Plan zum Thema Klimaschutz vor, und er ist nur einer ihrer vielen Vorschläge. Man kann sogar T-Shirts mit dem Spruch »Warren has a plan for that« kaufen – Warren hat dafür einen Plan.

Das wohl wichtigste Thema für die meisten Demokraten ist die Reform des Gesundheitssystems. Vor allem der linke Flügel der Partei beharrt auf »Medicare for All«, also einer staatlichen Krankenkasse für alle, eine Po­sition, die Sanders im vorigen Wahlkampf popularisiert hatte. Die wenigen Demokraten der Mitte haben hier derzeit schlechte Karten. So wurde der Kongressabgeordnete John Delaney aus Maryland, der gegen Medicare for All ist, vom Publikum ausgebuht. Doch auch Sanders verliert hier an Rückhalt, denn die anderen Bewerberinnen und Bewerber haben ihn längst links überholt. Bei seinem Auftritt in San Fran­cisco gab es erstmals leere Stühle im Zuschauerraum. Als am Ende des Parteitags der neue Parteivorsitzende Kaliforniens gewählt wurde, musste Sanders eine weitere Schlappe hinnehmen – seine Wunschkandidatin, die linke Kandidatin Kimberly Ellis, wurde vom pragmatischen Gewerkschaftsführer Rusty Hicks geschlagen. In Umfragen liegt Sanders weit hinter Biden, in Iowa, einem der entscheidenden swing states, also Bundesstaaten, in denen sowohl Demokraten als auch Republikaner gewinnen können, lag er zuletzt Kopf an Kopf mit Warren. Im April erntete Sanders Buhrufe, als ihm bei einem Forum in der texanischen Stadt Houston zum Thema Justizreform ab­solut nichts einfiel. Es wird ersichtlich, dass konkrete Vorschläge nicht seine Spezialität sind. Bei der Überschuldung von Studierenden in den USA beziehungsweise deren Eltern hat Sanders’ Kontrahentin Warren, wie üblich, einen detaillierten Plan vorgelegt. Allerdings würde ihr Plan vor allem einer kleinen, wohlhabenden Schicht zugutekommen, da es Subventionen nur für die Studiengebühren, nicht aber für die Lebenshaltungskosten geben soll.

Womöglich könnte der zu erwartende Fokus auf junge, urbane Wählerinnen und Wähler für die Demokraten ein strategisches Problem werden, denn so manche der ärmsten US-Bürgerinnen und -Bürger, vor allem diejenigen, die keinen College-Abschluss haben, wenden sich von der Demokratischen Partei ab. Die Auftritte in San Francisco wiesen auf eine Kluft hin, insbesondere beim Thema Klimaschutz. Hier wollen viele junge Demokraten berechtigterweise Resultate sehen, aber um die Wahl nächstes Jahr zu gewinnen, braucht man eben auch die Unterstützung der Stahl- und Braunkohlearbeiter in den swing states des Mittleren Westens. Auch in Kalifornien, dem Herzen der »blauen Welle«, sperren sich die Gewerkschaften gegen erneuerbare Energien. Dort wollen viele ihrer Mitglieder in erster Linie ihre Arbeitsplätze erhalten, Umschulungen interessieren kaum jemanden.

Gleich nach dem Parteitag in Kalifornien flogen viele der demokratischen Präsidentschaftsanwärterinnen und -anwärter nach Iowa weiter, wo im ­Februar kommenden Jahres die ersten Vorwahlen stattfinden sollen und wo dieser Tage das Gay-Pride-Weekend gefeiert wird, passend zum 50. Jahrestags des Stonewall-Aufstands. Die Kandidatinnen und Kandidaten müssen komplexe Wählerkoalitionen schmieden. Um im Rennen zu bleiben, müssen sie bei den ersten vier Vorwahlen nächstes Jahr – in Iowa, New Hampshire, Nevada und South Carolina – mindestens unter den ersten drei landen, ansonsten versiegen die Spendengelder und die Mobilisierungskraft. Biden, der zurzeit in allen Umfragen weit vorn liegt, hat bezeichnenderweise den Parteitag in Kalifornien geschwänzt. Er tingelte lieber durch den swing state Ohio im sogenannten rust belt und konzentrierte sich auf den wirklichen Gegner: Trump. Immer wieder prangert er dessen dystopische Nonsens-Präsidentschaft an und bietet den Demokraten etwas, wonach sie sich sehnen: die Aussicht auf einen Sieg über Trump.