Lahme Literaten - Thea Dorn

Deutschsein als Obsession

»Was ist typisch deutsch?«, fragt die Schriftstellerin Thea Dorn. Ihre Dauerbeschäftigung mit Patriotismus, Heimat und Volksseele hat längst zwanghafte Züge.
Kolumne Von

Deutsche Kriminalromane gehören zu den schlimmsten Leseerfahrungen, die man machen kann. Ohne Plot und roten Faden, zusammengehalten von einer sich in allen Variationen gleichenden verkniffenen Moral, witz- und geistlos, an Logik ebenso desinteressiert wie an Dramaturgie, führen sie ihre Protagonisten keifend und schreiend (wer echte Gefühle hat, schreit in Deutschland), bald hohl schwätzend und sinnträchtig schweigend vom drögen Beginn der Fabel ans pointenfreie Ende. In solcher Deprivation, die die Büchertische der Bahnhofsbuchhandlungen inzwischen konkurrenzlos bestimmt, waren die seit den neunziger Jahren entstandenen Krimis von Thea Dorn stets erfrischende Ausnahmen. »Berliner Aufklärung«, 1994 erschienen, war im akademischen Milieu angesiedelt, das der Autorin, die unter ihrem bürgerlichen Namen Christiane Scherer an der FU Berlin Philosophie studiert und später auch gelehrt hat, am vertrautesten war: Dort ist ein in 54 Teile zerlegter Professor Anlass kriminalistischer Ermittlungen. Später wechselte Dorn ins Genre des Psychothrillers, wobei ihre detailverliebten Schilderungen handfest ausgelebter Sexualneurosen (»Die Hirnkönigin«, 1999) und sadistischer Folter (»Mädchenmörder«, 2008) dem heimischen Publikum, das sich bis dato nicht recht bewusst war, dass Morde blutig sein können, widerwärtig aufstießen. Doch neben dem Impuls, Regeln der moralischen Korrektheit wie des guten Geschmacks zu missachten, hat Dorn immer auch eine andere Neigung umgetrieben: die Lust am vergrübelten Deutschfühlen.

Dass sie sich bei der Wahl ihres Pseudonyms am Namen Theodor W. Adornos orientierte, mit dem weder ihre akademische noch ihre literarische Arbeit etwas zu tun hat, mag als frühes Symptom für das ostentativ schwierige Verhältnis zur »Heimat« gelten, das Dorn zelebriert, als lebe sich die Dialektik der Auf­klärung ausgerechnet in ihrem nationalen Selbstgefühl aus. Schon vor 20 Jahren schrieb sie mit »Marleni« ein Drama, das in einer imaginären Begegnung Leni Riefenstahls mit der ­greisen Marlene Dietrich von einer ominösen Volkszugehörigkeit handelte, die selbst überzeugte Emigranten irgendwann wie­der einhole. 2011 reichte sie zwar nicht gemeinsam mit dem Komponisten, aber mit dem Schriftsteller Richard Wagner »Die deutsche Seele« nach, eine nationalgeschichtliche Studie über Worte wie »Wanderlust« und »German Angst«, in der sinnleere Fragen wie die, was »typisch deutsch« sei, und wer »wir« denn eigentlich seien, obsessiv umkreist werden. Nachdem Martin Walser anlässlich des Buchs Dorns Fähigkeit zum »Sich-gehen-lassen« gelobt hatte, widmete diese sich fortan statt zerstückelten Dozenten ausnahmslos der anheimelnden Brüchigkeit ihres persönlichen Nationalgefühls. Jüngstes Zeugnis dieser Verheerung ist ein im vergangenen Jahr unter dem zurechtweisenden Titel »Deutsch, nicht dumpf« erschienener »Leitfaden für aufgeklärte Patrioten«, der mit dem Vorschlag aufwartet, das Wort »Leitkultur« durch die unaussprechliche, aber irgendwie tolerantere »Leitzivilität« zu ersetzen. Leider entfaltet Dorns Mutation zur Bundeschefredakteurin des Ressorts Heimat & Seele auch rückwirkende Kraft: Wer kennt, was sie heute schreibt, dem fallen in ihren Krimis plötzlich unangenehm viele kernig aufgeräumte Frauen, gemeinschaftsempfindelnde Männer und unmotivierte kulturkritische Räsonnements auf. So korrumpiert die Reifezeit der Literatin die muntere Unreife, aus der sie hervorging.