Straflager in Nordkorea

Wer fliehen will, wird erschossen

Strafarbeit, Folter und Exekutionen: Für das Regime in Nordkorea sind Lager ein zentrales Instrument der Herrschaft. Wer in einem Lager landet, ist im Schnitt nach sechs oder sieben Jahren tot.

Donald Trumps jüngster Besuch bei Nordkoreas Diktator Kim Jong-un fand in entspannter Atmosphäre statt. Es wurde sogar gescherzt. Hier stimmt es ausnahmsweise mal: gute Miene zum bösen Spiel machen. Denn während Kim nach außen Bereitschaft zum Dialog zeigt, ändert sich an der Situation der Menschen im eigenen Land kaum etwas. Wann immer dort Propaganda allein nicht ausreicht, herrscht Terror in Form von Hungersnöten, Folter und Mord.

Ein wichtiges Instrument der Herrschaftssicherung des Regimes ist das ­Lagersystem. Hier landen Menschen, die als »Feinde des nordkoreanischen Volkes« gelten. Es wird berichtet, dass bereits ein falsches Wort ausreiche, um verhaftet zu werden. Das Denunziantentum ist Teil der ständigen Überwachung. Auf den Straßen Pjöngjangs fordern Schilder die Bevölkerung dazu auf, jeden zu melden, der Kontakt zu ausländischen Gästen hat.

»Nur sehr wenige Menschen ver­lassen diese Lager lebendig.«

Nicolai Sprekels, Mitbegründer und Vorstandssprecher der Stiftung »Saram – für Menschen in Nordkorea«, geht ­davon aus, dass es in den fünf großen Lagern für politische Gefangene bis zu 120.000 Insassen gebe, die dort täglichem Terror ausgesetzt seien. »Wir schätzen aufgrund von Aussagen, dass die Zahlen seit Jahrzehnten konstant sind und eine Besserung nicht in Sicht ist«, so Sprekels. Die Lebenserwartung der Häftlinge beträgt in den Lagern nach Zeugenaussagen durchschnittlich sechs bis sieben Jahre. Ein Großteil der Insassen stirbt an Erschöpfung und Krankheit in Folge von Unterernährung, nicht wenige werden zu Tode gefoltert beziehungsweise bei oder nach Fluchtversuchen erschossen.

In den Lagern gibt es abgeschottete Bereiche, in denen Gefangene ohne jeglichen Kontakt zu den übrigen Gefangenen interniert sind. »Die Leute, die hier landen, wurden vom Regime aufgegeben. Hier kommt niemand mehr raus«, sagt Sprekels. Ein sicheres Zeichen hierfür sei unter anderem die Tatsache, dass in den Trakten keine politische Agitation mehr stattfinde – eine absolute Ausnahme in dem Land, das ständig Propaganda betreibt.

Die Informationen stützen sich unter anderem auf Aussagen von 15 Personen, von denen zwölf ehemalige Gefangene und drei ehemalige Wärter sind, die aus Nordkorea auf unterschiedliche Weise entkommen konnten. »Die Aussagen sind deshalb glaubhaft, weil sie sich in nahezu allen Details decken«, so Sprekels. Außerdem gebe es Satellitenaufnahmen der Lager, die die An­gaben bestätigen.

Allerdings muss man gerade bei den persönlichen Schilderungen einkalkulieren, dass sie zum Teil mehrere Jahre alt sind: Die Flucht über China und Südkorea ist aufwendig und kostet Zeit, außerdem müssen sich die Menschen psychisch erholen. »Vielen Flüchtlingen, die ein sicheres Drittland erreicht ­haben, fällt es lange sehr schwer, die permanente Indoktrination wieder aus dem Kopf zu bekommen«, so Sprekels. Nicht wenige schweigen für immer.

Ahn Myong-chol hat sich dafür entschieden zu sprechen. In Nordkorea begann er eine Karriere beim Militärgeheimdienst. Nachdem er in den neunziger Jahren die mehrere Jahre anhaltende Hungersnot, den »beschwerlichen Marsch«, knapp überlebt hatte, arbeitete er in einem Lager für politische Gefangene. Seine Aufgabe war es, Material und Menschen zwischen den verschiedenen Lagerbereichen zu transportieren. Als seine ­Familie in Ungnade fiel und größtenteils deportiert wurde, brach er mit dem Regime. Ihm gelang die Flucht aus Nordkorea, seine Familie konnte er nicht mehr retten.

Die Vereinten Nationen vergleichen das Lagersystem mit den sowjetischen Gulags und den deutschen Konzentrations­lagern.

Mittlerweile lebt Ahn Myong-chol in Südkorea und leitet die Menschenrechtsorganisation NK Watch, die weltweit über Nordkoreas Lager aufklärt und politisches Engagement einfordert. »Er betreut ehemalige Insassen und ist ein respektierter Zeuge bei internationalen Untersuchungen«, sagt Nicolai Sprekels. Für Kim bleibt er ein aber Verräter, was zur Folge hat, dass der nordkoreanische Geheimdienst mehrfach versucht hat, ihn auszuschalten, um zu verhindern, dass er weiter als Zeuge gegen das Regime auftritt.

Seine und die Schilderungen anderer geflohener Wärter bringen immer mehr Details ans Tageslicht: Aufseher werden demnach für Hinrichtungen und Folter mit Extrarationen Essen und Alkohol versorgt, was zu willkürlichen Handlungen führt; jeder Fluchtversuch wird zudem mit dem Tod bestraft. Niemand darf entkommen. Im Falle einer Invasion sind die Wachleute dazu angehalten, alle Insassen der Lager auf der Stelle zu töten, damit keine Zeugen zurückbleiben. Als historischer Vergleich kann hier die euphemistisch als »Evakuierung« bezeichnete Auflösung der frontnahen Konzentrationslager durch die SS im Zweiten Weltkrieg genannt werden, bei der die Insassen auf »Todesmärsche« geschickt oder reihenweise erschossen wurden.

Dass vor kurzem das an sich sechste Lager des Landes aufgelöst wurde, kann daher auch kaum als positives Zeichen gesehen werden. Über das Schicksal der Insassen ist bislang nichts bekannt, allerdings müsse man mit dem Schlimmsten rechnen, so Sprekels. Jeder Überlebende könnte ein Risiko für das System darstellen. Die Vereinten Nationen vergleichen das Lagersystem auch deshalb mit den sowjetischen Gulags und den deutschen Konzentrations­lagern, wobei gerade bei den letzteren eine deutliche Grenze zu den Vernichtungskomplexen Auschwitz-Birkenau, Treblinka oder Sobibor gezogen werden muss. »In den Lagern findet keine systematische und industrielle Vernichtung der Gefangenen statt, die Leute werden hier durch härteste Arbeit bei extrem mangelhafter Ernährung umgebracht«, sagt Sprekels. Produziert wird dabei vor allem für die nationale Versorgung – und nicht etwa für den Export billiger Güter.

Bereits bei der Teilung der Halbinsel im Jahr 1948 gab es die erste große »Säuberungswelle«. Wie viele Menschen ihr zum Opfer gefallen sind, ist nicht bekannt. Spätestens mit dem Ende des Korea-Kriegs fünf Jahre später wurde das Lagersystem in Nordkorea gezielt ausgebaut. Nordkorea konnte dabei noch auf die Unterstützung der Sowjetunion zählen.

Auch Verhaftungen von ganzen Familien sind seit Jahrzehnten Teil der Strategie des Regimes. Kim Hye-suk wurde nach eigenen Angaben als kleines Mädchen im Alter von sieben Jahren in ein Lager für politische Gefangene ­deportiert; zusammen mit ihrer gesamten Familie. Der Grund: Ihr Großvater hatte sich während des Koreakrieges 1952 in den Süden abgesetzt. Dafür wurden drei Generationen seiner Familie lebenslang interniert – in Nord­korea herrscht Sippenhaft.

Kim Hye-suk war etwa 30 Jahre im Lager interniert, mehr als 20 Jahre länger, als die meisten dort überleben. Schließlich hatte sie das seltene Glück, bei einer Amnestie zu Kim Il-sungs ­Geburtstag freigelassen zu werden. »Nur sehr wenige Menschen verlassen diese Lager lebendig«, sagt Sprekels. Später gelang ihr die Flucht aus Nordkorea und sie machte ihr Schicksal öffentlich, als eine der ersten Geflüchteten überhaupt. Sie war unter anderem Zeugin bei der Untersuchung der UN-Kommission, die mit Ihrem Menschenrechtsbericht im Februar 2014 die grausamen Bedingungen in Nordkorea auch weltweit bekannt machte.

Indessen nutzt das Regime die Treffen mit Donald Trump als Chance, das Image in der Welt aufzupolieren und von den Lagern und anderen Miss­ständen im Land abzulenken. Ob sich dadurch allerdings die Lage der Bevölkerung und vor allem die der Lagerinsassen verbessert, ist mehr als fraglich.