Imprint - Martin Doll: »Cutting Edge«

Cutting free

Der armenische Filmemacher und Theoretiker Artawasd Peleschjan will mit Montage­ nicht zusammenfügen, sondern trennen. Was das heißt, lässt sich an »Breaking Bad« studieren.

Aufblende: Ein tropfender Wasserschlauch … Eine im Baum hängende Petroleumlampe … Eine Schnecke auf einer Mauerkante … Ein leicht gefülltes Getränkeglas auf einem Gartentisch … Ein Windspiel aus Metall. Dies alles in Schwarzweißbildern, begleitet von einer überhöhten Geräuschkulisse, die sogar die minimale Bewegung der Schnecke hörbar macht. Im Hintergrund immer lauter werdende Polizei- und Feuerwehrsirenen. Erst die sechste, halbtotale Einstellung auf den Pool des Hauses von Walter White gibt den Zuschauenden eine räumliche Orientierung. Im Anschluss daran springt die Perspektive in die Draufsicht auf die Wasseroberfläche: Ein Kunstauge schwimmt ins Blickfeld, die Pupille dreht sich dabei in Richtung der Kamera. Umschnitt auf einen Blickwinkel unter Wasser: Das Auge wird in den Abfluss der Umwälzpumpe gesogen. Die Kamera bleibt kurz über Wasser, taucht dann erneut ab, um diesmal einen Teddybären in grellem Pink zu fokussieren. Dies wird auf der akustischen Ebene begleitet von Unterwassergeräuschen. Eine kleine Bewegung nach rechts deckt auf, dass die rechte Hälfte des Plüschtiers völlig verkohlt ist und von ihm auch das Auge stammt, das man zuvor gesehen hat.

Dieser cold open (siehe Abbildung), dieser unvermittelte Einstieg in die zweite Staffel von »Breaking Bad« (USA 2009), hat sich tief im audiovisuellen Gedächtnis des Publikums verankert und wird daher nicht umsonst in zahlreichen einschlägigen Artikeln und Büchern thematisiert. Im Unterschied zu diesen Texten, die sich vornehmlich auf dramaturgische und narratologische Fragen konzentrieren, soll die beschriebene Sequenz und die Wiederkehr bestimmter akustischer und visueller Motive daraus im Folgenden mit Artawasd Peleschjans Theorie der Distanzmontage in Verbindung gebracht werden. Auch wenn sich die Besonderheit und der Erfolg der Serie nicht von ihrer komplex verflochtenen »horizontalen Dramaturgie« beziehungsweise »Zopfdramaturgie« und dem kunstvoll zur Anwendung gekommenen non-linearen Erzählen ablösen lässt, soll durch diese Perspektivverschiebung ein Blick frei werden auf die mitunter dabei aus den Augen verlorene ambivalente und auch affektive Dimension der Serie – eine Dimension, die sich jeder Narrato-Logik und selbst ihrer Nega­tion entzieht. Denn jedes Sprechen von einer Non-Linearität – von unpredictability, uncertainty, disorder – setzt, wenn sie einem dichotomischen Denken der Negation verhaftet bleibt, immer etwas problematisch eine Art naturgegebene Linearität, Vorhersehbarkeit, Sicherheit, Ordnung voraus, die durchbrochen wird. Was aber, wenn man es von Anfang an mit einer chaotischen Logik, mit Kontingenz, mit Zufall zu tun hat? Dann wäre die Ordnung die Abweichung.

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