Biografie eines Betrügers

Der Mann, der Golfer sein wollte

Matrose, Clown und Hochstapler: Das wundersame Leben des Maurice Flitcroft.

1976 erschütterte ein Skandal die Golfwelt. Bei den British Open, einem der prestigeträchtigsten Turniere der Welt, hatte sich ein völlig unbekannter 46jähriger Mann selbstbewusst als Profi angemeldet und dann mit 121 benötigten Schlägen, 49 über Par, die schlechteste Partie gespielt, die das Turnier seit seiner Gründung im Jahr 1860 gesehen hatte.

Zum besseren Verständnis: Par ist der Richtwert an Schlägen, die für das Absolvieren jedes einzelnen Abschnitts oder des ganzen Turniers im Schnitt benötigt werden. Flitcroft brauchte also 49 Schläge mehr, als angesetzt waren. Und diese Zahl gilt nur als Schätzung, da der Mann so erbärmlich spielte, dass die entnervten Spielbeobachter den Überblick darüber verloren, wie oft er wirklich auf den Ball eingedroschen hatte.

Flitcroft hatte nie zuvor Golf gespielt und sich erst wenige Tage vor den British Open über einen Versandhandel einige Golfschläger gekauft. Die Medien machten aus Flitcroft eine kleine Sensation, sehr zum Verdruss der höchst seriösen Veranstalter, die den Möchtegernprofi lebenslang für das Turnier sperrten. Das hielt den Mann aber nicht davon ab, unter Pseudonymen wie Graf Manfred von Hofmannstal, Gene Paychecki, Gerald Hoppy oder James Beau Jolly erneut anzutreten.

Maurice Gerald Flitcroft wurde am 23. November 1929 in Manchester geboren und verbrachte die meiste Zeit seines Lebens im nordenglischen Städtchen Barrow. Er wollte Künstler werden, eine bemerkenswerte Berufswahl für ein Kind aus einer Arbeiterfamilie in einer Arbeiterstadt. Leider verfügte Flitcroft weder über das Talent noch über die Disziplin, um es seinen großen Vorbildern Vincent van Gogh und Pablo Picasso gleichzutun, und so schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch. Er arbeitete als Matrose, Eisverkäufer, Vertreter für Schuhcreme, Hilfsarbeiter und Erntehelfer, aber keinen Job hielt er allzu lange durch. Er malte lieber schlechte Picasso-Kopien und frönte seinen beiden anderen großen Leidenschaften: Trinken und Rauchen.

1948 wurde Flitcroft zur Armee eingezogen. Gefragt, welchen Beruf er erlernt habe, antwortete er wie selbstverständlich mit »Künstler«. Das brachte ihm einen stressfreien Job als Schildermaler bei der Army ein, stationiert bei den Friedens­truppen in Triest. An einem Freitag, dem Tag, an dem die Soldaten ihren Sold bekamen, den sie üblicherweise in Alkohol und Zigaretten umsetzten, kam es zu einer Rauferei in Flitcrofts Zug, wobei Teile der Einrichtung zu Bruch gingen.

Golfen als Obsession

Der Platoon Sergeant wollte die Truppe dafür bestrafen und befahl den Männern, ihre Unterkunft blitzblank zu reinigen und anschließend neben den frisch gemachten Betten stundenlang strammzustehen. Nur wer einen ­guten Grund vorbringen könne, sei davon befreit, allerdings müsse der gute Grund schriftlich notiert und der Zettel auf dem Bett hinterlassen werden, so der Vorgesetzte. Als der Sergeant zur Inspektion kam, fand er keine strammstehenden Soldaten vor, dafür aber auf Flitcrofts Bett folgende Nachricht: »Lieber Platoon Sergeant, entschuldigen Sie meine Abwesenheit, aber ich habe einen guten Grund. Ich habe mich in die Kantine begeben, um mir Zigaretten, Alkohol, Schokolade und andere ­angenehme Sachen zu kaufen. Ta ta, toddle pip und cheerio. Ihr Maurice G. Flitcroft«. Dafür kam Flitcroft wegen Anstiftung zur Meuterei vors Kriegsgericht, das ihn unter Gelächter zu einer symbolischen Haftstrafe von vier Tagen verurteilte. Nach ­seiner Entlassung war er der Held der Truppe.

Nach seinem Abschied von der Armee schloss sich Flitcroft einer der damals populären wandernden Artistentruppen an und verdingte sich als Clown, der sich von einem Sprungturm in ein Fass fallen ließ. Anfang der sechziger Jahre beschloss er, London zu erobern, doch dort war er binnen weniger Tage mittel- und obdachlos. Er zog zurück nach Barrow, wo er die Schwester seiner Schwägerin heiratete. Um die Familie, zu der bald Zwillinge gehörten, zu ernähren, nahm er einen Job als Kranführer in einer Werft an und blieb zur Überraschung vieler, die ihn kannten, über zehn Jahre lang in dieser Po­sition. Das Ehepaar gab den Zwillingen, zwei Jungs, die schönen Namen Gene van Flitcroft und James Harlequin Flitcroft.

Anfang der siebziger Jahre begann Flitcroft, eine Obsession für Golf zu entwickeln. 1976 war er dann bereit, aus dieser Leidenschaft einen Beruf zu machen. Er hatte sich für seine Verhältnisse gewissenhaft vorbereitet, indem er drei Tage vor den British Open das Buch »Golf für Anfänger« gelesen und am Strand einige Bälle durch die Gegend geschossen hatte. Nach dem denkwürdigen Auftritt beim Turnier, der den Golffunktionären eine bittere Demütigung bereitet hatte, wehrte er sich mit Hunderten Briefen gegen seine lebenslange Sperre und forderte die Offiziellen zu Golfduellen heraus – was diese aber stets ablehnten.

Kein Golfprofi, aber trotzdem prominent

Flitcroft blieb hartnäckig. Phan­tasievoll verkleidet und mit klingenden Pseudonymen getarnt, ver­suchte er bis 1990 immer wieder, als Golfprofi bei den British Open anzutreten. Anfang der achtziger Jahre kam er damit sogar durch, indem er vorgab, er sei ein Schweizer Millionär. Während des Spiels fiel seine katastrophale Leistung auf und einer der Veranstalter sagte zu seinem Sekretär: »Ich fürchte, wir haben es mit einem zweiten Maurice Flitcroft zu tun.« Hatten sie nicht, es han­delte sich um das Original.

In den achtziger Jahren traten Flitcrofts Zwillingssöhne das Erbe ihres Vaters als nordenglische Anarcho-Spaßmacher an. Die beiden beharkten sich unter anderem auf dem Hauptplatz von Barrow mit echten Schwertern und kassierten dafür Großbritanniens erste einstweilige Verfügung wegen »antisozialen Verhaltens«. Gene van Flitcroft schlich sich wie sein Vater in den Golfzirkus ein, allerdings als Caddie. Um nicht als ein Flitcroft aufzufliegen, gab er sich den Namen Troy ­Atlantis. Sein Bruder James Harlequin gewann 1984 die Weltmeisterschaft im Disco-Tanz – unter dem Kampf­namen Paris Ventura. Später wurden die inzwischen schwer alkoholkranken Brüder zu den Stars einer preisgekrönten Fotoserie der Künstlerin Karen Storr, die das Brüderpaar zwischen Bergen von Wodkaflaschen und Müll ablichtete. 2007 traten die Brüder ein letztes Mal öffentlich in Erscheinung, als sie in der Fernsehshow »Ich hasse meinen Zwilling« auftraten.

Maurice Flitcroft verstarb am 24. März 2007. Er war zwar nie Golfprofi geworden, wie er es sich gewünscht hatte. Aber er hatte immerhin erreicht, dass Zeitungen wie die Times und der Telegraph Nachrufe auf ihn veröffentlichten. Der Ar­tikel des Telegraph beginnt mit den Worten: »Maurice Flitcroft, der am 24. März im Alter von 77 Jahren verstarb, war ein kettenrauchender Kranführer aus Barrow, dessen hartnäckige Versuche, sich in die British Open zu schummeln, eine Art Humorversagen bei Mitgliedern des Golf-Establishments hervorriefen.«

Dies ist der erste Teil unserer Serie über Hochstapler und Prankster im Sport. Hier gehts zu Teil 2, Teil 3 und Teil 4.