Machtkampf in Albanien

Wer braucht schon Parteien

Seite 2 – Die Studierenden sollen es richten

Plakat gegen Tiranas Bürgermeister Veliaj.

Bild:
Peter Korig

In einem der flachen, zweistöckigen Gartenhäuser, die noch vor zehn Jahren die Altstadt Tiranas prägten, nun aber immer öfter Hochhäusern weichen, betreibt die kleine linke Gruppe Organizata Politike (Politische Organisation, OP) ein Soziales Zentrum. Der Bauboom zwang die Gruppe seit 2017 schon zweimal zum Umzug. Im Hof des Zentrums schwärmen junge Linke von den Demonstrationen im Winter. Mirela Ruko, die der OP nahestehenden Lëvizja për Universitetin (Bewegung für die Universität, LPU) angehört, erzählt, wie überwältigend die Erfahrung gewesen sei, auf einmal und überraschend Teil einer riesigen Menschenmenge zu sein, die für ihre eigenen Interessen auf die Straße geht – ohne Instrumentalisierung durch eine der großen Parteien. »Es war einzigartig, zu erleben, wie die Bewegung die Regierung, die völlig hilflos auf die Proteste reagierte, vor sich hergetrieben hat. Das Besondere dieser Situation haben auch viele Menschen außerhalb der Universitäten erkannt«, so Ruko. Die Umstehenden bestätigen: Zwar seien die meisten Menschen selbst inaktiv geblieben, hätten aber sehr große Hoffnungen in die Studierenden gesetzt und die ­Aufgabe der politischen Veränderung an sie delegiert. »Immer wieder wurden wir von Menschen auf der Straße angesprochen, dass wir Studierenden jetzt das auf Korruption und Klientelismus beruhende politische System überwinden müssten«, erzählt eine Aktivistin.

Den weitverbreiteten Frust über die desolate ökonomische Lage des Landes und eine politische Führungsschicht, die nicht einmal mehr versucht, sich von einer Räuberbande zu unterscheiden, wollte die PD offenbar für sich nutzbar machen. Mitte April gründete die PD mit sieben anderen Parteien, als wichtigste davon die Lëvizja Socialiste për Integrim (Sozialistische Bewegung für Integration, LSI), eine Abspaltung der PS, der der Staatspräsident Ilir Meta angehört, ein Bündnis. Bevor Wahlen nicht frei und fair seien, wollen diese Parteien nicht an ihnen teilnehmen; freie und faire Wahlen könne es nur mit einer Übergangsregierung geben, der Rama nicht angehöre – die Kommunalwahlen am 30. Juni wurden daher vom Bündnis boykottiert. Ein gesellschaftlicher Aufbruch war mit der Gründung dieses Bündnisses nicht verbunden. Adressaten seiner Aktivitäten waren auch eher die USA und die EU, die dazu gebracht werden sollen, der Regierung Rama die Unterstützung zu entziehen.

Die Situation verschärfte sich Anfang Juni, nachdem die deutsche Boulevardzeitung Bild Mitschnitte von ­Telefonaten veröffentlicht hatte, die die Beteiligung der PS an Wahlfälschungen 2017 belegen sollen. Die Veröffentlichungen nahm nahezu ganz Albanien zur Kenntnis. Am 8. Juni erließ Präsident Meta ein Dekret, das eine Verschiebung der Wahlen anordnete. Ministerpräsident Rama weigerte sich, das Dekret des Präsidenten umzusetzen, und ließ die Wahlvorbereitungen weiterlaufen. Die Opposition erklärte, die Wahlen verhindern zu wollen. Es kam zu Brandanschlägen auf Wahllokale. In einzelnen von der PD regierten Kommunen kam es zu Zusammenstößen zwischen lokalen und zentralstaatlichen Polizeieinheiten.