Machtkampf in Albanien

Wer braucht schon Parteien

Seite 4 – Gewerkschaften statt Parteien

Ihnen geht es um mehr als Parteienkonflikte. Kundgebung der Gruppe »Organizata Politike« vor dem Denkmal für den unbekannten Partisanen in Tirana.

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Peter Korig

Am 30. Juni bleibt es dann doch friedlich. Im Wahllokal in der Musine-Kokalari-Schule in Tirana hält sich der Andrang in Grenzen. Die Stimmung ist entspannt, dennoch erlaubt der Wachmann vor der Schule keine Fotos. Am Vortag hat es in dieser Gegend einen Zusammenstoß zwischen Anhängern der PD und der Polizei gegeben. Die Schule ist nach einer linken Schriftstellerin und ersten Albanerin, die ein Buch veröffentlichen konnte, benannt, die nach einem Schauprozess 1946 bis zu ihrem Tod 37 Jahre in Haft und Verbannung verbringen musste, und liegt im legendären Stadtteil Kombinat. Einst als Planstadt für die Beschäftigten des Textilkombinats »Josef Stalin« errichtet, war er Modell und Symbol für die unter der Diktatur Enver Hoxhas angestrebte Indus­trialisierung Albaniens. Die Fabrikhallen liegen ausgeplündert brach.

In einem anderen einstigen sozialistischen Vorzeigeviertel Tiranas hat sich vor dem Büro der PD eine Gruppe Männer um die 50 Jahre versammelt. »Rama – Kommunist« und »Rama – kriminell« rufen sie. Aus der Menge schält sich ein etwas jüngerer Mann, gut gekleidet und mit betoniertem Seitenscheitel. Auf den ersten Blick sieht er aus wie ein Mitarbeiter einer der in Tirana präsenten westlichen Botschaften oder internationalen Institutionen. Es stellt sich heraus, dass er einer der PD-Abgeordneten ist, die im Februar ihr Mandat niedergelegt haben. »Zum ersten Mal seit dem Ende der kommunistischen Diktatur gibt es in Albanien Wahlen, an denen nur eine Partei teilnimmt«, sagt er, und dass der Ministerpräsident des Land wieder in eine Einparteiendiktatur verwandele. Er hoffe auf Unterstützung durch die europäischen Konservativen und darauf, dass es im Herbst endlich wieder ein Verfassungsgericht geben werde, das dann die Wahlen annullieren würde. Doch die Hoffnungen auf antikommunistische Affekte bei den westlichen Mächten dürfte vergebens sein; im Interesse der Stabilität auf dem Balkan, wie der Terminus lautet, stützen EU und USA die Regierung Rama.

Auch die Mitglieder der OP haben sich am Wahltag versammelt. Seit den frühen Morgenstunden harren sie im Sozialen Zentrum aus. Viele der Anwesenden sind durch die Studierendenproteste öffentlich als linke Aktivistinnen und Aktivisten bekannt. »Wir haben Angst, dass Anhänger der großen Parteien uns bedrohen oder angreifen und wollen heute nicht allein zu Hause oder in der Stadt unterwegs sein«, sagt einer von ihnen. Auch im Falle einer Eskalation der Ereignisse wäre es gut, zusammen zu sein, um beraten zu können, wie man mit der Situation umgehe, ergänzt ein anderer. Doch diese Befürchtungen bewahrheiten sich nicht. So schaut man zusammen im Fernsehen die Wahlergebnisse an: Die PS hat bei unter 23 Prozent Wahlbeteiligung gewonnen, die PD erkennt das Ergebnis nicht an. Der ewige Streit zwischen den Parteien geht in eine neue Runde.

Tiranas neues Zentrum. Die Stadt gibt sich modern und international.

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Peter Korig

Den Mitglieder von OP zufolge ist ein Ausweg aus dieser Situation nur durch grundlegende soziale Veränderungen möglich. Um diese zu ermöglichen, setzen die jungen Linken große Hoffnungen in die Arbeiterinnen und Arbeiter. Anfang des Jahres hat sich, unterstützt von OP, die Gewerkschaft Solidariteti gegründet. Als erste Basisgewerkschaft des Landes versucht sie, die circa 25 000 Menschen, die in Albanien in Callcentern vor allem für den italienischen Markt arbeiten, zu organisieren. Dass es gerade die Callcenter sind, die zum Ausgangspunkt einer neuen Gewerkschaftsbewegung werden könnten, ist kein Zufall. Zwar ist die Arbeit in den Callcentern im Vergleich etwa zu der in der Textilindustrie, die ebenfalls für den italienischen Markt produziert, gut bezahlt. Aber der Arbeitsdruck ist Gewerkschaftern zufolge hoch und der Umgang mit den Beschäftigten häufig von Willkür geprägt. Zudem sind viele, die dort arbeiten, jung und gut gebildet und haben im Ausland gelebt. Einen besseren Arbeitsplatz als im Callcenter können Absolventen albanischer Hochschulen dennoch selten erwarten.

Die Idee, eine Gewerkschaft zu gründen, habe es schon vor den Studierendenprotesten gegeben, aber die Aufbruchsstimmung des Winters habe den Prozess beflügelt, sagen Mitglieder der Gewerkschaft. Zwar seien noch nicht alle Formalitäten der offiziellen Registrierung der Gewerkschaft erledigt, aber sie habe ihre ersten Auseinandersetzungen schon erfolgreich geführt. Ansätze zu weiteren Gewerkschaftsgründungen gibt es auch im Bildungssektor und im Bergbau. Vielleicht beginnt hier tatsächlich eine Veränderung, die wich­tiger ist als der mögliche Wechsel der Regierungsparteien.