Das vollautomatisierte Schlaraffenland

Rolex für alle

Selbst die Ärmsten werden künftig wie Milliardäre leben: Der Brite Aaron Bastani sieht den Luxuskommunismus in greifbarer Nähe.

Die beste aller Welten ist schon fast Realität, es muss nur noch beherzt nach ihr gegriffen werden. Statt Lohnarbeit, Klimakatastrophe, Krank­heiten und Hunger wartet eine hochtechnisierte Gesellschaft ohne Knappheit für alle am Horizont – der Luxuskommunismus.

Diese kühne Behauptung stellt der britische Journalist Aaron Bastani in seinem Manifest »Fully Automated Luxury Communism« auf. Genauso anmaßend wie seine wilden Technoutopien muss dabei vielen Linken seine Absage an jeglichen Verzicht, asketischen Primitivismus und romantisierende Nostalgie vorkommen.

Für jede Krise gibt es bereits eine technologische ­Lösung.

Bastani, ein Mitbegründer des linken Medienprojekts Novara Media, hat mit seinem Buch einen eigenständigen Beitrag zur neuen emanzipatorischen Technoeuphorie vorgelegt, zu deren Vorreiter Nick Srnicek und Alex Williams (»Akzelerationistisches Manifest«, »Inventing the Future«), Helen Hester (»Xenofeminism«), Paul Mason (»Postcapitalism«) und Peter Frase (»Four Futu­res«) zählen. Seine radikale Offenheit für Automatisierung, Solar­ener­gie, Offworld-Mining oder synthetisches Fleisch hält erfrischende Irritationen für ideenlose Linke und marktgläubige Grüne bereit.

Das Manifest beschreibt eine Zukunft, die eigentlich zu schön ist, um wahr zu werden, mit Aussichten, viel zu dekadent, um kapitalismus­kritisch zu sein: »Wir werden mehr sehen von der Welt als je zuvor, werden Speisen haben, von denen wir noch nie gehört haben, und Leben führen wie die heutigen Milliardäre – wenn wir wollen. Luxus wird alles durchziehen, während eine Gesellschaft, die auf Lohnarbeit beruht, ein historisches Relikt sein wird.« Hier wird nicht verträumt über ein rotes Schlaraffenland fabuliert, der vollautomatisierte Luxuskommunismus sei als politisches Programm vielmehr die einzige Rettung der Zivilisation. Die Welt könne und müsse beherzt in eine diese Richtung beschleunigt werden, denn eine Zukunft ohne Knappheit ist weder notwendig noch unmöglich. Genau mit dieser Ansage wettert Bastani gegen die technologische Überforderung und das Entschleunigungsgefasel einer melancholischen Linken. Eine andere Zukunft blitzt durch die Risse des porösen »kapitalistischen Realismus« (Mark Fisher) auf; die Zukunft dürfe bloß nicht den Rechten überlassen werden.

Freizeit und Wohlstand für alle

Wie es sich für ein zünftiges Manifest gehört, vermengt Bastani existentielle Dringlichkeit mit einem Gefühl für den richtigen Zeitpunkt. Mit groben Pinselstrichen wird eine Menschheitsgeschichte nacherzählt, deren heutige Phase durch tiefe Krisen und umfassende soziotechnischen Umwälzungen geprägt sei. Gegenwärtig könne der Kapita­lismus seine Versprechen von Wohlstand und Fortschritt nicht mal mehr rhetorisch aufrechterhalten. Daneben bringen noch Klimawandel, Arbeitsplatzzerstörung und demographischer Wandel mal die Produktionsweise, mal die Menschheit in die Bredouille.

Freie Liebe statt müßiger Arbeit. Illustration einer Phalanstère, einer Wohn- und Produktionsgenossenschaft, wie der Frühsozialist Charles Fourier sie sich im frühen 19. Jahrhundert erdachte. So radikal, wie Bastanis Vision war dieser Plan allemal, wenn nicht radikaler.

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Für jede dieser Krisen gibt es Bastani zufolge bereits technologische ­Lösungen. Durch Roboter, Sensoren und künstliche Intelligenz wird etwa die von Menschen zu verrichtende gesellschaftlich notwendige Arbeit immer weniger. Das Buch zählt die emanzipatorischen Potentiale dieser Entwicklungen auf und zielt auf Wohlstand und Freizeit für alle.

Die Lösungen für Klimakrise und Rohstoffknappheit liegen demnach buchstäblich in den Sternen. Weil Fortschritte in regenerativer Energiegewinnung und -speicherung zu unerschöpflicher Solarenergie zum Nulltarif führen würden, stehe einer vollelektrifizierten Gesellschaft bei minimalen Klimabelastungen nichts mehr im Weg. Das Ende der Rohstoffknappheit würde durch Weiterentwicklung von wiederverwertbaren Raketen, Wasserstoffantrieben, 3D-Druck und automatisierter Förderproduktion erreicht. Warum sollten nicht einfach Roboter die schier unendlichen Rohstoffvorkommen auf Asteroiden abbauen? Bastani zufolge bleibt lediglich die Frage zu beantworten, wem das All und die notwendigen Technologien am Ende gehören werden.

Die meisten Krankheiten werden, glaubt Bastani, durch Fortschritte in Gentechnologie und Molekularbiologie besiegt werden. Methoden wie die Genmanipulation würden immer simpler und günstiger einsetzbar und die Chirurgie werde in ultrasmarten Medizinstationen (wie in Filmen wie »Elysium« oder »Alien: Covenant« zu sehen) riesige Fortschritte machen. Umweltschäden der Lebensmittelproduktion wird nicht mit Verzicht beigekommen, sondern mit genverändertem Saatgut und pflanzlichem Fleischersatz. Während kommerzielle Hersteller von saftigen Pflanzenburgern in diesen Tagen Erfolge an der Börse feiern, sieht Bastani in Fortschritten von synthetischer Biologie und Gewebekonstruktion schon einen Champagner-Sozialismus mit reich gedeckten Tafeln heraufziehen.

Das demokratische Wir

Nach den spektakulären Zukunftsvisionen findet das Manifest in seinem politischen Programm überraschend nüchtern in die Gegenwart zu sich. Die politischen Handlungsvorschläge fallen auffällig uninspiriert aus. Mit der Forderung nach einem linken Populismus und parlamentarischen Reformen schließt Bastani an die dröge Sozialdemokratie an. Der Weg zum Luxuskommunismus führe durch eine sozialistische Übergangsperiode, die durch nationalstaatliche Politik realisiert wird. Um die Leute in der parlamentarischen Aufmerksamkeits­ökonomie für den Luxuskommunismus zu begeistern, müsse ihnen ­einfach das versprochen werden, »was sie verdienen: Versprich ihnen alles.«

Mit Chantal Mouffe teilt Bastani das Ziel sowie das Problem, ein »Wir« zu kons­truieren, das nichts mit rechtem Populismus gemein hat. Wie über einen Elektoralismus gepaart mit Regionalismus ein Klassenbewusstsein erreicht werden soll, ohne auf Kategorien von Volk, Rasse, Nation und entsprechende Ressentiments zurückzugreifen, bleibt auch bei Bastani vage, wenn er sich für ein »demokratisches Wir« ausspricht.

Bastani formuliert oppositionelle Haltungen gegen multinationale Konzerne, technokratische Eliten, Banken und frei flottierendes Kapital. Durch einen municipal protectionism soll die Arbeit im Dorf bleiben und der Spekulant draußen. Die ­sozialdemokratisch organisierte Produktion an Ort und Stelle wird als Ausweg aus der Knechtschaft unter abstrakten Finanzströmen und ­unkontrollierbaren Kapitalisten beschrieben. Die Steuer- und Finanz­infrastrukturen müssten so umgebaut werden, dass Banken in Gemeinbesitz die lokale Produktion finanzieren und sie aus den Fängen von spekulativem Kapital und Verschuldungsspiralen reißen. Zusammen mit einer Finanztransaktionssteuer und planungsfähigen Zentralbanken könnte sodann »die produktive anstatt die spekulative Wirtschaft« florieren.

Das Übel des Kapitalismus erscheint bei Bastani hauptsächlich in seiner »abstrakten Dimension« (Moishe Postone), nämlich im Gegensatz zu ehrlicher Arbeit in der kon­kreten Produktion »als ausschließlich materiellen schöpferischen Prozess, ablösbar vom Kapital« (Postone). Das passt leider nur zu gut zu Kontroversen über Antisemitismus in der britischen Labour Party unter Jeremy Corbyn. Auch Bastani hat in der Debatte auf seine »moralische Pflicht« zur fundamentalen Israel-Kritik gepocht. Als es bei Sky News eigentlich um die Erfahrung euro­päischer Juden im Holocaust ging, wollte er deren Gefühle in Hinblick auf Verfolgung und Ermordung auf Palästinenser ausweiten, um jene angeblich marginalisierten endlich »sichtbar« zu machen. Im Manifest finden sich solche Stellen zwar nicht, zusammen mit seiner populistischen Wir-gegen-die-Logik zeigt sich aber ein Antikapitalismus, der bekanntermaßen auch Hand in Hand mit modernem Antisemitismus geht.

Aaron Bastani: Fully Automated Luxury Communism. A Manifesto. Verso Books, London/New York 2019, 288 Seiten, ca. 18 Euro.