Was kümmert mich der Dax

Hirn am Draht

Elon Musk will das menschliche Gehirn mit dem Computer verschmelzen lassen. Kann er seinen Kunden bald die Botschaft »Kauf einen Tesla!« direkt ins Hirn pflanzen?
Kolumne Von

Im Kapitalismus wollen sich immer wieder Unternehmer für die Lösung von Problemen, häufiger noch für das Versprechen der Lösung von Problemen feiern lassen, die man ohne sie gar nicht hätte. Elon Musk, der in seinen Firmen und Stiftungen ­diverse Formen sogenannter künstlicher Intelligenz (KI) entwickeln lässt, ist in Sorge, dass der Mensch von dieser KI »zurückgelassen« werden könnte, also nicht mehr wettbewerbsfähig sein wird. Seine Tesla-Autos sollen bald keinen menschlichen Fahrer mehr benötigen, das erledigt dann die KI.

Wenn der Konsumwunsch ­direkt eingegeben werden kann, hat sich das ganze System von Wettbewerb und Konkurrenz erledigt.

Aber wer soll die Autos kaufen? Glücklicherweise weiß Musk, wie der Mensch mithalten kann: indem er »mit der KI verschmilzt«. Daran arbeitet seine Firma Neuralink, die jüngst eine Maschine vorgestellt hat, die hauchdünne Fäden in das menschliche Gehirn implantiert, um dieses direkt mit einem Computer zu verbinden. Einer naheliegenden Befürchtung bemühte sich Musk sogleich entgegenzutreten. Neuralink werde »nicht anfangen, die Gehirne der Menschen zu übernehmen«.

Musk übertreibt nach Ansicht von Experten wie Ulrich Dirnagl, dem Direktor der Abteilung Experimentelle Neurologie der Charité Berlin, zwar maßlos; in näherer Zukunft ließen sich allenfalls sehr ein­fache Funktionen direkt durch das Gehirn steuern. Grundsätzlich aber funktioniert die Technologie, und weder Musk noch andere Unternehmer dürften sich durch Risiken, Gesetze und Kollateralschäden von deren Weiterentwicklung abhalten lassen. Aus der Science-Fiction sind die Probleme der Gedankenkontrolle und des Cyborg-Daseins bekannt. Musk ist nicht so charmant und geistreich wie die Borg-Königin, aber ebenso machtbewusst und bestrebt, alles in seiner Reichweite zu assimilieren. Es ist schwer zu glauben, dass er der Versuchung widerstehen könnte, den Neuralink-Kunden die Botschaft »Kaufe noch heute einen Tesla!« direkt ins Hirn zu pflanzen, wenn er die Möglichkeit dazu hätte.

Der Kapitalismus ist jedoch nicht nur zu seiner Legitimation auf die Simulation eines freien Willens angewiesen. Das sogenannte Individuum soll einen Tesla kaufen wollen, weil es nach dem Status eines Tesla-Fahrers strebt, also als Angehöriger eine wohlhabenden, aber auch aufgeklärten und umweltbewussten Elite wahrgenommen werden möchte, und es soll sich gehörig anstrengen im Arbeitsleben, damit es sich das teure Gefährt leisten kann. Wenn der Konsumwunsch ­direkt eingegeben werden kann, hat sich das ganze System von Wettbewerb und Konkurrenz erledigt. Dann gäbe es auch keinen Grund mehr, sich im Labor oder am Computer abzurackern, damit Musk sich auf einer Pressekonferenz feiern lassen kann.