Kinofilm »Ich war zuhause, aber«

Drama im Drama

Angela Schanelecs neuer Film »Ich war zuhause, aber« stellt die Konventionen des Kinos radikal in Frage.

Die Filme der Berliner Schule, also vor allem die der ehemaligen ­Studenten von Harun Farocki an der Deutschen Film- und Fernseh­akademie in Berlin, wurden oft für realistische Porträts gehalten. Diese Einschätzung wird aber ganz und gar nicht vom Sprechen der filmischen Figuren gedeckt. In Thomas Arslans Film »Der schöne Tag« von 2001 fällt Hauptfigur Deniz durch betont monotones und nicht expressives Sprechen auf. Die strenge und beinahe getaktete Sprachmelodie, der ganz eigene Singsang, das mag nun gar nicht zu einer naturalistischen Darstellung eines Milieus passen.

Viel eher erinnert es an die Filme von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet, die in der Tradition des epischen Theaters von Bertolt Brecht antiillu­sionistisch inszenierten: Das voll­ständige Eintauchen in die filmische Welt wurde nicht zuletzt durch das distanzierte, verfremdete Aufsagen der Dialoge stets unterbunden. Die daraus resultierende Enerviertheit und latente Aggresion, die viele beim Betrachten der Filme des Duos ereilt, ist wohl eine ähnliche wie die, die auch die Filme der Berliner Schule provozieren, insbesondere diejenigen von Angela Schanelec.

In ihrem jüngsten Film »Ich war zuhause, aber« scheint Schanelec die Eintönigkeit der Stimmen ihrer ­Figuren geradezu auf die Spitze zu treiben: Die Hauptfigur Astrid ­(Maren Eggert) kauft ein gebrauchtes Fahrrad von einem Mann, der wegen einer Kehlkopfentfernung nur mit Hilfe einer elektronischen Sprechhilfe, die an den Hals gehalten wird, reden kann. Blechern, gar ­roboterhaft klingt sein Sprechen. Für die Kinobesucher ist das wegen des Abstands zum Geschehen kaum zu hören, zusätzlich erschwert durch die ebenso lauten, typischen Geräusche einer vorbeirauschenden ­S-Bahn.

Zeitsprünge und rätselhafte Auslassungen

Die Szene scheint vorwegzunehmen, was Astrid in einem späteren Dialog monieren wird: »Ich weiß eh nicht, wie man miteinander ­reden kann.« Schanelecs Interesse gilt den Unzulänglichkeiten von Kommunikation, was sich auch immer wieder in den Einstellungen zeigt, die bei Gesprächen meist ohne Gegenschnitt arbeiten, weshalb die Figuren scheinbar mit sich selbst sprechen anstatt mit ihrem Gegenüber. Sprechen ist in Schanelecs ­Filmen kein Motor der Erzählung, sondern wird als filmische Konven­tion in Frage gestellt.

Traurig in der Natur: Astrids Kinder Phillip und Flo.

Bild:
Nachmittagfilm

Ein anderes wiederkehrendes, hier ebenfalls auf die Spitze getriebenes Merkmal ist, dass auf eine klassische Exposition der Handlung verzichtet wird. Was für die Geschichte zentral ist, die mit vielen Zeitsprüngen und rätselhaften Auslassungen erzählt wird, klärt sich erst nach einiger Zeit auf. Scheinbar Nebensächliches wird stattdessen groß, eben wenn sich Astrids erworbenes Rad als ­kaputt heraus­stellt und sie mit dem Verkäufer eine gefühlte Ewigkeit über eine Rücknahme verhandelt.

Was in anderen Filmen ansonsten meist weggelassen oder gerafft wird, nimmt hier viel Raum ein. Als Zuschauer fragt man sich unwillkürlich, was der Grund dafür ist – man sucht händeringend nach dahinterliegender Bedeutung, nach verborgenem Sinn. Schanelec würde darauf, wie in ­einem Interview mit dem RBB-Sender Radio Eins, antworten, dass es vielmehr darum geht, dass der Kinobesucher »einfach nur zuschaut«.

Astrid ist eine Witwe mit zwei Kindern im alternativ-bürgerlichen ­Milieu Berlins, das mitunter wirkt wie vor 20 Jahren, so entrückt nehmen sich die Figuren, ihre Kleidung und ihr Alltag aus. Ihr Sohn Phillip ist verschwunden und taucht zu Beginn des Films wieder auf. Wo er ­gewesen ist, klärt der Film nicht auf. In der Folge wird Astrids Überfor­derung, ihre seelische Notlage gezeigt. Der Tod ihres Mannes strapaziert sie, sie pendelt zwischen Depression und Nervenzusammenbruch.

Theater als Nebenschauplatz

Doch viele Worte über die Handlung zu verlieren, ist müßig, denn dieser Film zeichnet explizit kein Psychogramm und ist auch kein pädagogischer Ratgeber, wie mit dem Verlust eines Menschen umzugehen ist. Vielmehr bildet die sehr rudimentär erzählte Geschichte den Rahmen dafür, darüber zu reflektieren, wie Darstellung im Film funktioniert und wie man filmisch darstellt: Selten sah ein Lidl-Supermarkt in einem Film so schön aus.

Schanelecs Filme sind nicht nach der Narration, sondern nach Bildern gebaut. Was passiert, muss sich nie veränderten Bildausschnitten fügen. Die montierten Bilder ergeben meist keinen kohärenten Raum. In der Strenge der Anordnung ähnelt der Film bisweilen tableaux vivants, und tatsächlich spielt das Theater in »Ich war zuhause, aber« eine wichtige Rolle: nämlich als ein Nebenschauplatz, der unverbunden immer wieder die Handlung unterbricht. Eine Schulklasse probt im Klassenzimmer den »Hamlet«, Lehrer sind nicht dabei. Mit großem Ernst, ohne je der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden, wird Shakespeare rezitiert, in einer Übersetzung Schanelecs und ihres vor zehn Jahren verstorbenen Partners, des Theaterregisseurs Jürgen Gosch.

Im Schaupiel der Kinder kommt Schanelecs filmische Praxis zu sich. Da sie keine professionellen Sprecher sind, kann sich das Eintönige und das Tonlose hier ganz entfalten. Die Tragik des Stücks können die Kinder kaum nachvollziehen, der dort thematisierte Tod ist ihnen fern. Das zahl­lose Sterben in »Hamlet« wird kindlich unschuldig – während wiederum der in der eigentlichen Handlung banale Tod des Ehemanns und Vaters mit dem bekanntesten Stück der Theatergeschichte überhaupt konfrontiert wird.

Wortloser Kommentar zum Tod

Gestorben wird auch ganz zu ­Anfang des Films, und zwar ganz buchstäblich. Es trifft hier keinen ­dänischen Thronfolger oder Berliner Intellektuellen, sondern einen ­Hasen. Der Hund, der ihn jagt und dann beim Fressen von einem Esel beobachtet wird – der aus dem Film »Au hasard Balthazar« (1966) von Robert Bresson ausgerissen zu sein scheint –, all das ist ähnlich unzusammenhängend wie die Theaterprobe der Kinder in den Film über ­Astrid hineinmontiert.

Durch die Prominenz der tierischen Rahmung – die Vierbeiner tauchen auch ganz am Ende des Films wieder auf –, ­fungieren auch diese Szenen als wortloser Kommentar zum Tod. Doch glaubte man, mit den Tieren nun schlicht in den Kreislauf alles Werdens und Vergehens zu geraten, sieht man sich bei genauerem Hinschauen eines Besseren belehrt: Esel und Hund bewohnen ein herunter­gekommenes, leerstehendes Haus, sie werden nicht zum Bild der ewigen Natur. Umgekehrt Astrid und ihre beiden Kinder, die sich in der vorletzten Szene in einem Wald an einem Bach wiederfinden: Astrid liegt zusammengekrümmt auf einem Stein, während ihr Sohn seine Schwester huckepack durchs seichte Wasser trägt.

Wo der Film die ganze Zeit über Symbolik zu vermeiden versucht, bricht sie kurz vor Schluss doch noch hervor. Gegenüber dem großstädtischen Berlin nimmt sich die Szenerie im Wald als kitschiges Phantasma einer Rückkehr in die Natur aus. Die Weltflucht wird zuvor schon angedeutet: »Die ganzen Kreaturen auf der Welt – das überfordert mich.« Die leidenden Menschen retten sich in die Kreatürlichkeit, ­während doch Hund und Esel in einer Ruine längst schon domestiziert sind. Gemeinsam ist ihnen allen aber die Sprachlosigkeit. Der Rest ist Schweigen.

Ich war zuhause, aber (Deutschland 2019). Buch und Regie: Angela Schanelec. ­Darsteller: Maren Eggert, Jakob Lassalle, Clara Möller. Filmstart: 15. August