Was Sozialismus in den USA bedeutet

Sozialisten mit Hipsterbrillen

Sozialismus ist in den USA wieder trendy. Die »Democratic Socialists of America« waren einst ein verstaubter Professorenclub, heute wird die Organisation von Millennials überrannt.

»Wir im Süden haben auf euch gewartet«, begrüßt Khalid Kamau die rund 1.000 Delegierten der Organisation Democratic Socialists of America (DSA). Kamau ist gewählter sozialistischer Stadtrat in South Fulton bei Atlanta, Georgia – der »schwärzesten Stadt der USA« – und damit eine Rarität im eher konservativen Süden der USA. Vor dem schwarzen Stadtverordneten im ­ordentlichen Anzug sitzen die jungen Delegierten, die meisten sind weiß und stammen aus den liberalen Großstadtregionen im Land wie San Francisco oder New York City; viele tragen Hipsteroutfits und Hornbrillen.

Seit Bernie Sanders’ Bewerbung als Präsidentschaftskandidat 2016 ist ­Sozialismus in den USA wieder hip und Millennials haben den eher trägen und reformistischen Debattierclub linker Professoren namens DSA überrannt. Vor drei Jahren hatten die DSA noch 6.000 Mitglieder, derzeit sind es 55.000. In zwei Jahren sollen es 100.000 Mitglieder sein, so der ehrgeizige Beschluss, den die DSA auf ihrem Kongress am Wochenende in Atlanta fassten.

In über 200 Ortsgruppen im ganzen Land haben die neuen Mitglieder der DSA Mieterproteste mitorganisiert, im Rahmen der »Bremslicht-Kampagne« schwarzen Autofahrern die Rücklichter repariert, damit sie nicht Opfer von rassistischen Polizisten bei Verkehrskontrollen werden, Vorschläge zur ­Reform des Justizsystems entwickelt und Streikposten von Gewerkschaften unterstützt. Die DSA treiben die Kampagne »Medicare for all« voran, die ein staatliches Krankenversicherungssystem für alle US-Amerikaner fordert. Das Thema dominiert mittlerweile die Fernsehdebatten der Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten. Derweil bearbeiten DSA-Anhänger im ganzen Land diejenigen Kongressabgeordneten, die »Medicare for all« für zu gewagt halten, nur zögerlich unterstützen oder unter Druck der Lobbyisten der Pharmaindustrie stehen.