Massenproteste in Russland

»Das sind Versuche, die Menschen einzuschüchtern«

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Interview Von

Anfang September geht das neue Studienjahr los. Ist zu erwarten, dass die Proteste dann abermals größer werden?
Zweifellos. Bis zu den Wahlen am 8. September auf jeden Fall. Was nach den Wahlen passiert, weiß ich nicht. Es kann sein, dass der Protest dann nochmal anwächst. Gerade ist das noch schwer vorherzusehen.

Bei der Demonstration am 27. Juli wurden über 1.300 Demonstrierende festgenommen, bei der am 3. August mehr als 1.000, mehrere Oppositionskandidaten wurden zu Administrativhaft verurteilt, weitere Personen sind unter dem Vorwurf der Beteiligung an Massenunruhen in Haft. Warum reagieren die Sicherheitsbehörden so repressiv auf die Proteste?
Das sind Versuche, die Menschen einzuschüchtern. Die Behörden üben sehr starken Druck aus. Etwas anderes können sie gar nicht. Das ist sehr schade. Leider ist hier gerade niemand in der Lage, andere Entscheidungen zu treffen.

Einige Kommentatoren sprechen davon, die Obrigkeit nutze die Proteste für einen »Staatsstreich«. Wie sehen Sie das?
Ein Staatsstreich liegt dann vor, wenn jemand Neues die Macht ergreift. In diesem engeren Sinne des Wortes sollten wir nicht von einem Staatsstreich sprechen. Aber dass im Inneren des Staats eine heftige Verschiebung stattfand, ist offensichtlich. Der Einfluss der Sicherheitsbehörden ist stark gewachsen. Im Wesentlichen werden alle politischen Entscheidungen gerade von den verschiedenen Polizei- und Geheimdienststrukturen getroffen. Versuchen Sie einmal, zu den Protesten in Moskau eine Äußerung von den Politikern zu finden, die ansonsten in der Öffentlichkeit auftreten, von Präsident Wladimir Putin, Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew oder zum Beispiel Parlamentspräsident Wjatscheslaw Wolodin – sie alle schweigen. Als ob sie verschwunden wären.