Auf den Spuren eines Sprach-Syndroms

Die Genau-Sager

Seite 2 – Es wird genau gezählt

Als sogar der Versuch, den Satz »Genau, ich will dich nicht lange aufhalten« mit der ernsthaften Entgegnung »Ich möchte aber gern, dass du mich aufhältst« zu kontern, am folgenden »Genau, ich meinte ja nur!« wie an einer Betonwand zerschellte, beschloss der Lädierte, der sich immer ungenauer vorkam, für den Rest des Nachmittags zur privaten Lektüre ein Café aufzusuchen. Umzingelt von Tinder-Dates und Kollegenteams, musste er die ebenfalls immer ungenauer wirkende Charlotte Brontë nach zehn Minuten wieder zur Seite legen, weil bei arbeitsorganisatorischer Urteilsfindung und intimer Kontaktanbahnung mindestens ebenso oft »Genau« gesagt wie aufs Smartphone gestarrt wird.

Hinlänglich überzeugt, dass die Beziehung zu einer Genau-Sagerin mit oder ohne Smartphone viel langweiliger sein muss als die zwischen Jane Eyre und Mr. Rochester, zweckentfremdete der unfreiwillige Zuhörer die letzte Seite von Brontës Gouvernantenroman für eine Strichliste. Wer nicht einschlafen kann, zählt Schafe; wem das Stimmengedröhn unerbetener Fürsprache in den Ohren klingt, der zählt Genaus. Nach zwei Stunden waren es beim Tinder-Date im linken Ohr (»Genau, das war nach dem Yoga-Kurs, der immer nach der Chorprobe ist … «) insgesamt 368, beim vierköpfigen Kollegenteam im rechten Ohr (»Genau, da bin ich ganz bei dir, das wäre eine Lösungsstrategie … «) 790 Genaus.

Jane Eyre und Mr. Rochester, durch Unbill voneinander getrennt, vernehmen bei Brontë dank eines geheimnisvollen Magnetismus die hilflos nach dem jeweils anderen rufende Stimme, als erklänge sie unmittelbar neben ihnen. Über solche Spinnereien sind Leute hinaus, zu denen weder imaginäre noch wirkliche Stimmen durchdringen, weil vor jeden möglichen Austausch das »Genau« wie ein Riegel fällt.