Streetball wird olympisch

Wampen treffen Kanten

Die Basketballvariante Streetball schwankt zwischen Kommerz und Utopie.

Gerade einmal 20 Euro Startgebühr erhob das Unternehmen Adidas für sein gemeinsam mit dem Online-Sportgeschäft Kickz unter dem Motto »Shut up and play« organisiertes Streetball-Turnier, das Mitte Juli im Hangar 5 des ehemaligen Flughafens Berlin-Tempelhof ausgetragen wurde. Die Teilnehmenden erhielten nicht nur das obligatorische Shirt, sondern neben Shorts und Socken obendrein auch noch brandneue Basketball-Sneaker. Im Gegenzug wurden sie jedoch angehalten, diese Sachen und ja keine anderen zu tragen. »Shut up and play« hieß es: Klappe halten und von Kopf bis Fuß in Adidas spielen.

Diese repressive Generosität erinnerte an die »Adidas Streetball Challenge« in den neunziger Jahren – jene Veranstaltungen in den größeren Städten Deutschlands, für die der Sportartikelhersteller aus Herzogenaurach den Begriff Streetball erfand und sich sogar markenrechtlich schützen ließ. Seit es beschlossene Sache ist, dass Streetball 2020 erstmals bei den Olympischen Spielen auf dem Programm steht und der Konkurrent Nike beim Kampf um den Basketballmarkt in die Offensive geht, scheint sich Adidas wieder für diesen Sport zu begeistern.

Beim klassischen Streetball – oder playground basketball, wie die US-Amerikaner sagen – handelt es sich um eine simplifizierte Straßenversion des Hallenbasketballs, das 1891 als Wintersportart vom kanadischen Arzt und Sportlehrer James Naismith für die weiße Mittelschicht erfunden wurde. Die Ursprünge des Streetball waren allerdings andere. »Der spezifische Streetballstil entwickelte sich«, wie der Sozialwissenschaftler Steffen Wenzel in seinem Buch über Streetball schreibt, »gerade aus der Situation heraus, das Spiel als einen Kampf um Anerkennung und Respekt sowie als einen Ausweg aus einer von Armut, Drogen und Gewalt gekennzeichneten Umgebung zu begreifen.« Er gedieh in den Ghettos, etablierte sich aber erst 1977 als eigene Sportart.

Als Ende der achtziger Jahre schließlich der Hype begann, traten große Marken und die National Basketball Association (NBA) auf den Plan. Die afroamerikanische Prägung verschaffte dem Streetball seine spezielle Coolness, ein Mix aus spektakulärem Spiel und Abgeklärtheit, ergänzt um distinktive Kleidung und Sprache sowie eine geregelte Regellosigkeit. Den Männern unter den Marginalisierten versprach der Streetball als Reaktion auf die stadtpolitisch forcierte Verelendung ganzer Viertel Empowerment und Community Building; dass er es vor allem den Männern versprach, war zugleich einer seiner Geburtsfehler. Nicht nur auf dem Rucker Park, dem berühmt-berüchtigten, nach dem Ghetto-Pädagogen Holcombe Rucker benannten Basketballcourt in Harlem, bestimmen Glanz und Elend gleichermaßen die Szenerie.

Die Straße spielt Fußball

In Deutschland ist Streetball seit jeher mehr Rucker als Park, mehr Sozialpädagogik als Ghettosport. Für den Traum vom Aufstieg zum Basketballstar scheint er hierzulande nicht zu taugen. In Deutschland spielt die Straße Fußball. Darum will zum Beispiel die »Ballers Community Berlin«, ein Netzwerk aus Berliner Vereinen, erst einmal dem Freizeitbasketball auf die Beine helfen, ohne gleich den nächsten Dennis Schröder hervorzubringen. Ein Ergebnis ist das maßgeblich vom Hauptstadtclub Alba Berlin unterstützte Open Gym im Hangar 1 des Flughafens Tempelhof – ein Programm, das sich sowohl an Flüchtlinge als auch Einheimische wendet. Ein anderes Resultat ist das 2018 mit einem »Shut up and play«-Turnier eröffnete Prestigeprojekt am Jahnsportpark, das in der Streetball-Szene auch kritisiert wurde, weil sich Alba dort als Platzhirsch ­aufspielte und die Sanierung bereits bestehender Freiplätze, die nicht von ambitionierten Jugendspielern frequentiert werden, auf die Dauer sinnvoller gewesen wäre.

In den Medien und der wissenschaftlichen Literatur vor allem als jugendkulturelles Phänomen behandelt, bringt der real existierende Streetball in Deutschland Junge und Erfahrene zusammen – um es euphemistisch auszudrücken. Böse formuliert: Wampen treffen auf Kanten. 

Oft muss zur Verständigung Englisch gesprochen werden. Man verabredet sich in Whatsapp-Gruppen oder schaut spontan auf dem Platz vorbei. Angesichts der hohen Intensität, die die Spiele auch ohne Wurf­uhr annehmen, erscheint nicht nur die von Ahnungslosen notorisch kolportierte Körperlosigkeit zweifelhaft, sondern auch der heilige Unernst, den die Spieler selbst vorgeben – relativiert durch ausgedehnte Zigarettenpausen sowie das Hintergrundrauschen aus Rapmusik und Trash­talk. Da Leistungen auf dem Freiplatz nicht in Statistiken abgebildet werden, lebt die durchaus ironisch gemeinte Angeberei hier von der mündlichen Überlieferung und dem letzten Move. Die Spieler steuern sich selbst durch ungeschriebene Gesetze, Fairplay-Gedanken und kollaborative Aushandlungsprozesse. Fouls werden meist vom Gefoulten angesagt, die Teams durch Würfe von der Freiwurflinie zusammengestellt.

Adidas veranstaltete 1992 das erste Streetball-Turnier in Deutschland. Das Event auf dem Berliner Marx-Engels-Platz, der mittlerweile Schlossplatz heißt, stieß auf derart große Resonanz, dass es zu einer Tour durch ganz Deutschland erweitert wurde. Auf dem Höhepunkt der »Adidas Streetball Challenge« 1995 nahmen insgesamt etwa 50.000 Spieler teil. Zögerte Adidas in den achtziger Jahren noch, die Rapper der US-amerikanischen HipHop-Band Run DMC (»My Adidas«) zu Markenbotschaftern zu machen, inszenierte man den Streetball nun ganz bewusst als einen Karneval der Marginalisierten – ein »Spektakel für gelangweilte Mittelschichtkinder« und »eine PR-Nummer, die die angeschlagene Firma retten sollte«, wie Christian Fuchs im Spiegel schrieb. Während der Konzern seine ikonische Streetball-Kollektion wie geschnitten Brot verkaufte und in Sachen Coolness zu Nike und Reebok aufschloss, erwies er der Szene einen Bärendienst. Sogar der damalige Pressesprecher der »Adidas Streetball Challenge« räumte im Spiegel ein, dass »Adidas mehr von der Partnerschaft profitiert hat als der Streetball«.

Eigentore der Beherrschten

Die »Adidas Streetball Challenge« ist trotz des Erfolgs in der damaligen Form heutzutage nicht mehr denkbar. Im Bewusstsein, dass die Konsumenten smarter und subtiler betrogen werden wollen, hat sich das Eventmarketing gewandelt. Das Event, nicht die Marke, wird ins Zentrum gestellt, um eine weitgehend ihres ­Gebrauchswerts entledigte Ware zu emotionalisieren. Fernsehsender und Radiostationen, szenefremde Unternehmen wie die Deutsche Bahn und auch die Polizei sucht man auf dem »Shut up and play« vergeblich. Alles scheint aufs Wesentliche reduziert: Kickz, Adidas und Donovan Mitchell, ein aufstrebender NBA-Star, der bei Adidas unter Vertrag steht und eigens aus den USA eingeflogen wurde. Das Spektakel von damals ist einer raffinierten Dosierung von Spiel und Show gewichen.

Auf Nachfrage der Jungle World, wie man dem Streetball heutzutage helfen wolle, antwortete ein Adidas-Sprecher, das Unternehmen wolle »den Basketball in der Hauptstadt weiter fördern, indem wir in die Basketball-Infrastruktur der Stadt investieren, dabei aber auch nah am Spiel und der Community sind«. Die marketingtypische Aussage unterstreicht nur, was sie eigentlich verdecken soll. Diese Form des Streetball ist ein von der Internationalen Basketball Federation (FIBA) in einem 17 Artikel umfassenden Regelwerk fixierter und für den Konsum maßgeschneiderter Leistungssport und widerspricht dem Streetball, den seine Liebhaber von Harlem bis Prenzlauer Berg täglich praktizieren, diametral.

Auf den kritischen Sporttheoretiker Gerhard Vinnai geht das Bonmot zurück, die Tore auf dem Fußballfeld seien »die Eigentore der Be­herrsch­ten«. Angesichts der Instrumentalisierungsversuche durch einen pseudophilanthropischen Konzern verhält es sich beim Streetball womöglich ähnlich und die Dribblings beim »Shut up and play« sind die Ball­verluste derjenigen, die sich weder für die Olympischen Spiele qualifizieren noch von Adidas labeln lassen wollen. Auf die von Gabriel Kuhn in seinem Buch »Die Linke und der Sport« dokumentierte Diskussion anspielend, ließe sich auch resümieren, dass dieser professionell betriebene, rationalisierte und bürokratisierte Streetball in seiner Logik des Leistungsvergleichs die Arbeit un­ter kapitalistischen Verhältnissen verdoppelt, während das mehr oder weniger unreglementierte und zweckfreie Spiel auf dem Freiplatz vielleicht ein Vorschein des Besseren ist.