Fußballfans in Israel

Der Sabbat der Ultras

Für viele israelische Fans ist Fußball mehr als ein Zeitvertreib am Wochenende. Das Engagement vieler Fangruppen ist groß. Manche haben sogar eigene Vereine gegründet.

Für manche ist Fußball die schönste Nebensache der Welt. An den weniger begünstigten Orten Israels ist der Sport mehr als das. Das zeigt sich unter anderem an der Bedeutung der vor zwei Jahren gegründeten Fangruppe Sderot Ultras. Der städtische Verein Maccabi spielt zwar nur in der vierten israelischen Liga, aber Shahar Shitrit, der als eine Art Vorsänger der Sderot Ultras die Fangesänge anheizt, sagt: »Kleine Kinder kommen mit ihren Eltern und wir haben viele Frauen auf den Tribünen.« Einige hätten sich bis vor kurzem überhaupt nicht für Fußball interessiert und kämen nur wegen der Atmosphäre. »Die Spiele am Freitag haben die Stadt geprägt. Die Leute warten geradezu auf die Spiele.«

Der Kader von Hapoel Umm al-Fahm besteht zur Hälfte aus jüdischen Spielern und die begeisterten Ultras des arabischen Clubs singen zumeist auf Hebräisch.

Sderots vormals größter Konkurrent, Maccabi Ironi Ashdod, spielt mittlerweile in der dritten Liga. Dort erwartet den Verein ein Derby unter besonderen Vorzeichen. 1999 wurden die großen Lokalrivalen der Hafenstadt Ashdod, Hapoel und Maccabi, in einem Team vereint: MS Ashdod. 16 Jahre später beschlossen ehemalige Maccabi-Fans, den alten Verein wiederzubeleben, und gründeten ein Team, das den Spielbetrieb in der fünften Liga begann. Ehemalige Hapoel-Fans und junge Unterstützer taten es den Anhängern von Maccabi gleich und ließen ihrerseits »die Roten« wiederauferstehen.

Neben dem Derby in Ashdod kommt es in der dritten Liga Süd zum Aufeinandertreffen von Maccabi Sha’arayim und Hapoel Marmorek aus den gleichnamigen Vierteln in der Stadt Rehovot. Von Angehörigen verschiedener Einwanderungsgruppen aus dem Jemen gegründet, herrscht zwischen den Bewohnern von Sha’arayim und Marmorek eine Abneigung, die so ausgeprägt ist, dass die Menschen verschiedene Synagogen und Friedhöfe benutzen. Das jemenitische Derby von Rehovot ist dementsprechend emotional aufgeladen.

In der Saison 2016/2017 spielte Maccabi Sha’arayim in der zweiten Liga. Von einer Investorengruppe unterstützt, bot der Verein eines der größten Budgets aller Zweitligisten auf, stieg am Ende der Saison aber ab und stand nach dem Rückzug der Geldgeber vor dem Ende. Die Spenden Tausender Anhänger retteten Maccabi Sha’arayim, der Verein wird zurzeit von einer Gesellschaft geführt, die sich aus ehemaligen Spielern, engagierten Fans und Funktionären zusammensetzt. Perri Shaler, ein glühender Anhänger, sagt, der Zusammen­halt der Fans sei nach dem Abstieg und wegen dessen desaströser Folgen enger, das Engagement intensiver geworden. Als Graphikdesigner verwendet er sehr viel seiner freien Zeit darauf, den öffentlichen Auftritt von Maccabi Sha’arayim zu gestalten. Sein Freund Stephane Haddad springt des Öfteren für ihn ein und beteiligt sich rege im Facebook-Forum der dritten Liga Süd.

 

In diesem Forum tauschen sich die Anhänger der verschiedenen Vereine exzessiv darüber aus, wer das beste Team und die engagiertesten Fans hat. Zahlreiche Videos von den Rängen vermitteln ein Bild vom Fan­milieu der dritten Liga Süd: Die Bindung an den Fußballverein ist eine Frage der Nachbarschaft, tief emotional und generationsübergreifend. Einer der schillerndsten Fans der dritten Liga Süd ist »Pini der Große«, ein lautstarker Pensionär, der mit einem blauen Paillettenhut im Fan­block von Sha’arayim die Stimmung anheizt.

Maccabi Kabilio Yafo wurde von Fans gegründet. Der Verein ging aus den Trümmern des Clubs Maccabi Yafo hervor, der 1999 wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten seine Lizenz verloren hatte und daraufhin aufgelöst worden war. Er ist nach dem berühmten Torhüter und Schlagersänger Herzl Kabilio benannt, der 1986 mit 35 Jahren an Krebs starb und den israelischen Fußballfans die Hymne »Od Shabat Shel Kaduregel« (Noch ein Sabbat des Fußballs) hinterließ.

Maccabi Yafo war als Verein der Einwanderer aus Bulgarien als auch des Südens der Stadt Tel Aviv von großer Bedeutung. Seine Auflösung war für den Fan Bar Cohen unerträglich, er nahm Verbindung mit wei­teren Anhängern auf mit dem Ziel, den Verein wiederzugründen. Nach einer Versammlung im Dezember 2007, bei der die ersten Mitgliedsbeiträge erhoben wurden, begann die Auswahl eines Kaders. 9 000 Fans feierten in der Saison 2008/2009 im Bloomfield-Stadion den Aufstieg aus der fünften Liga. Mit vielen kleinen Sponsoren und einem soliden Finanzmanagement hat sich das Team mittlerweile in der dritten Liga etabliert. Amit Kalimi, ein engagierter Anhänger, sagt, er sei in erster Linie tolz auf die sieben Kinder- und ­Jugendmannschaften, die für viele von Problemen geplagte Jugendliche in Yafo eine Anlaufstelle seien.

Maccabi Kabilio Yafo ist der zweitälteste von Fans gegründete Verein in Israel – nach Hapoel Katamon Jerusalem. Dessen Gründung ging ein Streit zwischen den Anhängern und dem Management von Hapoel Jerusalem über die Führung der Clubgeschäfte voraus, der schließlich zum Bruch führte. Dem renommierten Journalisten und eingefleischten Fan Gad Lior zufolge engagiert sich Katamon auch sozial. So wurde eine Blindengruppe zu einem Spiel eingeladen und ein professioneller Radiokommentator beauftragt, das Spiel für sie zu kommentieren; die Ultras von Katamon veranstalteten ein Fußballturnier mit Flüchtlingen; aus Solidarität mit LGBT ersetzte Katamon 2015 die Eckfahnen durch Regenbogenfahnen. Der Stolz der Fans sind die zwölf Jugendmannschaften, in denen Araber aus dem Flüchtlingslager des Viertels Shuafat mit Siedlern aus Gush Etzion spielen.

 

Zur Gründung des zweiten Fan­vereins in Jerusalem, Beitar Nordia, kam es nach heftigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern von Beitar Jerusalem. Die rassistische und gewalttätige Ultra-Gruppe »La Familia« hatte gemäßigte Fans derart vergrault, dass diese 2014 in der Gründung eines eigenen Vereins die einzige Möglichkeit sahen, sich weiter unter dem Namen Beitar zu engagieren. Beitar Nordia spielt in der dritten Liga Süd. Die Anhänger setzen bei den Spielen alles daran, zu beweisen, dass ihr Verein das wahre Beitar repräsentiert: mit lautstarker, durchgehen­der Unterstützung für die Mannschaft und Flaggen mit der Menora, dem Wappen von Beitar, und dem Bier trinkenden Gründer der zionistischen Beitar-Bewegung, Zeev Jabotinsky.

Vor einem Spiel gegen Beitar Nordia stellten Ultras des arabischen Clubs MS Kfar Qasem ihren Gästen einen Tisch mit Snacks und Getränken in den Block. Videos im Fußballforum zeigen, wie die Ultras beider Teams nach dem Spiel in einer Shisha-Bar gemeinsam rauchen, Kicker spielen und Sprechchöre anstimmen. Vor dem »Klassiker«, wie das jüngste Spiel des MS Kfar Qasem gegen Maccabi Sha’arayim angekündigt worden war, waren die Fans aus Rehovot eingeladen, in einem Hummus-Lokal und einer Bäckerei in Kfar Qasem umsonst zu essen.

Alaa Amer, der als Jugendlicher zu jedem Spiel von Maccabi Tel Aviv ging, sagt, die Ultras von Kfar Qasem hätten sich 2013 zusammengefunden, um in der Stadt etwas Positives zu schaffen und den Kindern und Jugendlichen ein Angebot abseits der Straße zu machen. Fußballfans der Stadt, zuvor meist Anhänger großer Vereine wie Maccabi Haifa oder Hapoel Tel Aviv, hätten beschlossen, die große Fußballatmosphäre aus der ersten Liga auf die Ränge des örtlichen Abu-Hamis-Stadions zu bringen. Entsprechend erschallen die meisten Sprechchöre der Ultras des MS Kfar Qasem auf Hebräisch. Einen eigenen arabischen Verein zu unterstützen, statt eine Minderheit unter den Anhängern eines jüdischen zu sein, und dabei Wert auf gute Beziehungen zu jüdischen Mannschaften zu legen – das ist ein Musterbeispiel für die Israelisierung der arabischen Bevölkerung. Erfolgreich ist MS Kfar Qasem noch dazu: Am Ende eines äußerst spannenden Zweikampfs mit Hakoah Amidar Ramat Gan sicherte sich der Club in diesem Jahr die Meisterschaft in der dritten Liga Süd. Das war Anlass für mehrtägige Feierlichkeiten in der Stadt.

 

Meister der dritten Liga Nord wurde Hapoel Umm al-Fahm aus der gleichnamigen Stadt, der größten fast ausschließlich von Arabern bewohnten in Israel. Zu den Heimspielen waren in der Rückrunde jeweils mehr als 5 000 Zuschauer ins Salaam-Stadion gekommen. Wie bei MS Kfar Qasem besteht der Kader des Clubs zur Hälfte aus jüdischen Spielern und auch die begeisterten Ultras von Hapoel Umm al-Fahm singen zumeist auf Hebräisch. Nach dem Aufstieg von MS Kfar Qasem und Hapoel Umm al-Fahm und dem Abstieg von Bnei Sakhnin in die zweite Liga wird dort in der kommenden Saison der Wettstreit darum ausgetragen, welche Mannschaft die beste unter den arabischen Ver­einen ist, denn in der Spielklasse befinden sich auch noch Ahi Nazareth und Bnei Lod, Teams aus Städten mit relativ großem arabischen Bevölkerungsanteil. Außerdem wird neben Katamon mit Hapoel Petach Tikva ein weiterer von den Fans getragener Club vertreten sein. Im März kauften die Anhänger ihren eigenen Verein, er wird in der zweiten Liga auf den Erzrivalen Maccabi Petach Tikva treffen.

Das neue Fanforum der zweiten Liga kommt also zur richtigen Zeit. Gründer und Administrator ist Shy Nobleman, ein bekannter israelischer Sänger, der seit mehreren Jahren Zweitligaspiele bei einem israelischen Sportsender kommentiert. Nobleman sagt, die Fans verschiedener Vereine hätten schon seit längerem Interesse an einem Austausch gezeigt. Nach ihren Erfahrungen mit dem Forum der dritten Liga Süd äußerten beispielsweise die Fans von Kfar Qasem den dringenden Wunsch, eine entsprechende Plattform zu gründen. Auch die Anhänger von Hapoel Umm al-Fahm befürworteten das.
Nobleman steckt nach eigener Aussage jeden Tag viel Zeit in das Forum. Dank seiner Beharrlichkeit sind Fans fast aller Mannschaften der zweiten Liga dort vertreten. Am

Anfang seien einige Ermahnungen ­nötig gewesen, sich an die Umgangsregeln zu halten, sagt der Administrator. Während des Ligapokals habe der Betrieb im Forum rasant zugenommen, bereits vor dem ersten Spieltag sei es ein »unglaublicher Erfolg« gewesen, so Nobleman. Da sich auch die Anhänger der arabischen Mannschaften rege beteiligen, könnte das Forum zu einem erfolgsträchtigen jüdisch-arabischen Verständigungsprojekt werden – ganz ohne NGOs, Fördergelder und internationale Vermittler.