Der Kibbuz und der Kollektiv­gedanke

Israels erstes Start-up

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Dabei standen in den achtziger Jahren viele Kibbuzim finanziell am Abgrund, die sich wegen der Wirtschaftskrise und der hohen Inflation in Israel überschuldet hatten. Mittlerweile lebten dort bereits die dritte und vierte Generation der Kibbuzniks, viele von ihnen strebten eine individuellere Lebensweise an. Der Staat übernahm einen Großteil der Schulden und viele Kibbuzbetriebe bekamen ein professionelleres Management – beides zusammen sorgte dafür, dass einige Kibbuzim mittlerweile sehr wohlhabend sind.

Panzer zu Spielzeugen. Ein im Museum von Degania ausgestelltes Kinderbuch.

Bild:
Carl Melchers

Eines der Prinzipien der sozialistisch geprägten Kibbuzgründer war, keine fremden Arbeiter anzustellen, also auszubeuten, sondern sich allein auf die Arbeitskraft der Mitglieder zu verlassen. Aus diesem Grund arbeiteten die Kibbuzniks viele Jahrzehnte lang ausschließlich im eigenen Kibbuz: auf den Feldern und Plantagen, in der Milch- und Geflügelwirtschaft, im Speisesaal, in der Wäscherei, beim Hausbau oder bei der Kindererziehung.

Erst als die Kibbuzim in den sechziger Jahren begannen, Industrie aufzubauen, wurde der Einsatz von Arbeitskräften von außerhalb unabdinglich. In vielen mehr oder minder privatisierten Kibbuzbetrieben kam zudem seit der Jahrtausendwende ein erhöhter Bedarf nach externen Arbeitskräften hinzu, weil viele der Kibbuzniks sich einträglichere Arbeitsplätze außerhalb des Kibbuz suchten. Deswegen werben viele Kibbuzim seit knapp zwei Jahrzehnten gezielt Arbeitskräfte aus Ländern wie den Philippinen und Thailand an, die auch die einstmals ureigenen ­Kibbuzarbeiten, vor allem in den Milchbetrieben und bei der Alten- und Kinderpflege, verrichten. Maya Peretz von der Gewerkschaft Koah LaOvdim sagte der Jungle World, dass diese Arbeiterinnen und Arbeiter einen prekären Aufenthaltsstatus hätten und im Vergleich zu den Kibbuzniks schlecht bezahlt würden. Die Kibbuzim sähen zudem die gewerkschaftliche Organisierung dieser Arbeitskräfte nicht gern.

Währenddessen steigen immer mehr Kibbuzniks in die Start-up-Branche ein und arbeiten in Hightech-Unternehmen – oder gründen gleich selbst welche. Die nötigen soft skills besitzen sie jedenfalls: »Kibbuzniks sind bei Arbeitgebern sehr beliebt, weil sie ein hohes Arbeitsethos besitzen, auf vielen Gebieten Erfahrung haben und sich zu helfen wissen«, erklärt Michal Palgin. In einem kurzen Film, der in Degania ­Besuchern gezeigt wird, sagt ein kleines Mädchen, als eine Kibbuzveteranin ihr von der Gründung der Siedlung erzählt: »Ach so – ein Kibbuz ist wie ein Start-up!«