Punk in Tel Aviv

Tel Aviv abgefuckt

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Zum Konzert von Not On Tour, Tabarnak und Good Intentions muss ich leider allein gehen. Der Veranstaltungsraum befindet sich im südöstlichen Tel Aviver Niemandsland zwischen einer Ausfahrtstraße und einem Gewerbegebiet. Hier darf es laut werden. Der mittelgroße Club The Zone hat einen Außenbereich mit Sperrmüllmöbeln.

Hier lerne ich Jonathan aus Cardiff kennen, den einzigen anderen Typen, der ohne Begleitung gekommen ist. Das Publikum ist jung, Anfang bis Mitte zwanzig. Sie könnten unsere Kinder sein. Jonathans Frau ist jüdisch, eine Britin mit israelischem Pass. Deshalb ist er oft in Tel Aviv. Der hagere Tottenham-Supporter lehnt sich zu mir rüber und sagt hinter vorgehaltener Hand: »Ich sag’ dir mal was … Die Israelis sind alle irre! Komplett irre! Aber ich liebe es hier! Ich komme immer wieder.« Wir gehen rein. Good Intentions fangen an zu spielen, aber überzeugen uns mit ihrem melodischen Neunziger-Jahre-Punk wenig. Dafür die nächste Band Tabernak um so mehr. Ihr Sänger Ishay Berger ist bekannt als Gitarrist der erfolgreichsten israelischen Punk-Band, Useless ID. An der Gitarre der schwer tätowierte, weißbärtige Haim, Urgestein der Tel Aviver Punkszene und Gründungsmitglied von Dir Yassin. Tabarnaks kurze, wütende und dennoch sehr melodische Songs erinnern mich an Oma Hans. Ja, so gut sind die Songs! Jeder Song von Tabarnak ist eingängig und leider viel zu schnell zu Ende. Das Publikum kennt die Songs und singt jede Zeile mit. Erfolgreiche Punk-Kommuni­kation. Vor der Bühne tanzt der drahtige Sänger von Nidfakta die ganze Zeit mit den bulligen Punks Pogo. Ein vielleicht achtjähriger Junge springt mehrfach in die Menge und wird von ihr im Raum herumgetragen. Zum Schluss spielen Not On Tour, die mit dem Konzert die Veröffentlichung ihres vierten Albums feiern, ein langes Set mitreißender Songs. Ein rundum gelungener Tel Aviver Punk-Abend.

Ein paar Tage später treffe ich Ishay auf der Arbeit, im seit dreißig Jahren bestehenden Third Ear Plattenladen. »Oh, Berlin!« schwärmt Ishay. »Immer wenn ich ins SO36 rein komme, dann ist das wie eine warme Welle. Wie nach Hause kommen.« »Kennst du Static Shock Records?« fragt er mich. »In der Bürknerstraße. Na, klar. Der beste Punk-Plattenladen der Stadt«, antworte ich. Wir reden über Schallplatten, Punk und Israel. »Nidfakta sind super!« sagt er. »Schon der Name. Abgefuckt. Andere Bands würden vielleicht einen Song so nennen. Oder ihr Album. Aber nicht die Band. Das ist das Großartige an Nidfakta. Und sie singen auf Hebräisch. Nicht auf Englisch, sondern ganz direkt, so dass du genau verstehst, um was es geht. Ist ein neues Ding hier, aber es setzt sich langsam durch, das die Bands auf Hebräisch singen.« Kurz bevor wir uns verabschieden, drückt er mir noch das Album seiner Band Shesh Shesh Shesh in die Hand. Sechs sechs sechs, the number of the beast. Zehn tolle, kurze, wü­tende Songs auf Hebräisch. Ein Album wie ein Anfall. Abgefuckt.