Der »Ärzteappell« prangert die zustände an deutschen Kliniken an

Abrechnen mit dem Leidensdruck

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Ähnliches ist von dem Bündnis »Krankenhaus statt Fabrik« seit Jahren zu hören. Die 2015 gegründete Orga­nisation fordert unter anderem: »Nicht die Gewinnmarge soll ausschlaggebend dafür sein, ob und wie wir behandelt werden, sondern allein der medi­zinische Bedarf!« Und sie wendet sich seit vier Jahren »gegen die Kommer­zialisierung des Gesundheitswesens in Deutschland und daher insbesondere gegen das System der Krankenhaus­finanzierung durch DRGs«. Anhand der Kategorisierung in Diagnosis Related Groups (DRG) wird seit 2004 jeder Erkrankung eine Fallpauschale zugewiesen. Die Kliniken erhalten je nach Diagnose und Behandlung einen bestimmten Betrag. Die Operation eines Bruchs ist in diesem System beispielsweise wesentlich lukrativer, als ein gebrochenes Bein zu schienen.

»Krankenhaus statt Fabrik« ist nicht die einzige Initiative dieser Art. Vor etwa zwei Jahren veröffentlichte die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) den »Klinik-Codex«. Da sich die Missstände nicht nur auf Krankenhäuser beschränken, benannten die Initiatoren den Aufruf schließlich in »Ärzte-Codex« um. Auch er enthält eine durchweg kritische Abrechnung mit dem deutschen Gesundheitssystem und stellt die ärztliche Pflicht zur Heilung und zur genauen Diagnose in den Mittelpunkt: »Wir werden unsere ärztliche Heilkunst ausüben, ohne uns von wirtschaftlichem Druck, ­finanziellen Anreizsystemen oder ökonomischen Drohungen dazu ­bewegen zu lassen, uns von unserer Berufsethik und den Geboten der Menschlichkeit abzuwenden.« Der Aufruf wird von einem ähnlich ­großen Bündnis unterstützt wie der »Ärzteappell« im Stern.

»Der Kodex ist in gewisser Weise tiefgründiger und argumentativ abgestimmter. Allerdings konnten wir trotz aller Bemühungen nicht die Öffentlichkeit herstellen, wie dies nun durch den ›Ärzteappell‹ gelungen ist«, sagt Ulrich Fölsch, der Generalsekretär der DGIM, im Gespräch mit der Jungle World. Der Schwerpunkt ist auch ein anderer als beim Appell des Stern. Der »Ärzte-­Codex« kann von einzelnen Ärzten unterzeichnet werden, die dann eine Urkunde erhalten, die ihnen bescheinigt, im Sinne des Kodex zu handeln. »Er soll den Kollegen und Kolleginnen den Rücken gegenüber den kaufmännischen Direktoren in den Kliniken stärken. Die Denke muss sich dringend ändern. Wir brauchen einfach wieder eine sprechende Medizin, die sich Zeit für den Patienten nimmt«, so Fölsch.