Ein neues Gesetz soll im US-Bundesstaat Kalifornien die Gig-Economy regulieren

Arbeitsrechte für Fahrer

Die Plattformökonomie gerät unter Druck. Das Parlament des US-Bundes­staats Kalifornien hat ein Gesetz gegen die Schein­selbständig­keit in der »gig economy« verabschiedet. Unternehmens­lobbyisten versuchen nun, Ausnahmeregeln auszuhandeln.

Als am Dienstag vergangener Woche im US-Bundesstaat Kalifornien ein neues Landesgesetz mit der nichtssagenden Klassifizierung AB5 (Assembly Bill 5) verabschiedet wurde, brach im Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Sacramento Jubel aus. Auf den Balkonen klatschten Gewerkschaftsführer, die Abgeordneten umarmten sich. Das Gesetz gilt als großer Fortschritt für die Rechte kalifornischer Arbeitnehmer. Es ist einer der ersten Versuche in den USA, die gig economy stärker zu regulieren, den Teil des Arbeitsmarkts, in dem meist schlecht bezahlte, kleine Aufträge kurzfristig an angeblich Selbständige vergeben werden.

Nur wer keine Anweisungen von einem Unternehmen erhält oder eine Tätigkeit außerhalb des Kern­geschäfts dieses Unternehmens ausführt, gilt noch als unabhängiger Vertragspartner.

Das Gesetz könnte weitreichende Auswirkungen auf den Hightech-Sektor in Kalifornien haben und womöglich weit über die Grenzen des Bundesstaats hinaus. »AB5 löst sicher nicht alle Probleme, aber es ist ein großer Schritt nach vorne«, meint die demokratische Abgeordnete und ehemalige Gewerkschafterin Lorena Gonzalez aus San Diego, die das Gesetz wesentlich mitgestaltet hat. »Ich habe die Nase voll«, so Gonzalez. Sie bezeichnete die Arbeitsbedingungen bei Minijobs als »Feudalismus«.

Die Verbreitung von appbasierten Dienstleistungen führt in den USA zu einem immer größer werdenden Niedriglohnsektor, der bislang kaum Regulierungen unterlag. Denn heutzutage kann man per Smartphone so ziemlich alles erledigen: Mit Amazon Fresh ­erhält man seine Einkäufe binnen weniger Stunden, man kann mit Task Rabbit kostengünstig Handwerker engagieren, mit Post Mates alltägliche Besorgungen machen lassen, bei Door Dash eine Kleinigkeit zu essen bestellen oder sich mit Insta Cart im Supermarkt Lebensmittel kaufen und bis zur Haustür liefern lassen. In Kalifornien und Oregon kann man sich mit der App Eaze mittlerweile auch völlig problemlos ein paar Joints bringen lassen, denn Marihuana ist in beiden Bundesstaaten legal.

Für die Konsumenten ist das eine schöne neue Welt, für die Arbeitnehmer hingehen weniger. Kalifornien gehört zu den US-Bundesstaaten mit den größten Einkommensunterschieden, die Armutsquote beträgt fast 15 Prozent der Gesamtbevölkerung, es gibt zahlreiche Obdachlose. In der gig economy werden beispielsweise die Fahrer der Mitfahragenturen Uber und Lyft, im Gegensatz zu Taxifahrern, bislang als »unabhängige Vertragspartner« klas­sifiziert. Für ihre Autos, deren Instandhaltung und die Spritkosten müssen sie selbst aufkommen, auch die Krankenversicherung muss privat organisiert werden – sofern das Gehalt dafür ausreicht.

 

AB5 soll das ändern. Von nun an sollen die Auflagen strikter werden. Nur wer keine Anweisungen von einem Unternehmen erhält oder eine Tätigkeit außerhalb des Kerngeschäfts dieses Unternehmens ausführt, gilt noch als unabhängiger Vertragspartner. Das hat tiefgreifende Auswirkungen, denn Angestellte haben Rechte – auf Urlaub, Elternzeit, Krankenversicherung, Altersversorgung, gewerkschaftlichen Schutz. Für die großen Tech-Firmen könnte das teuer werden. Aber auch Freelancer sind besorgt. Der Los Angeles Times zufolge fürchten viele, dass sie ihre bisherige Flexibilität verlieren werden, dass aus den Minijobs ein ganz normaler Vollzeitjob wird oder dass viele der Arbeitsplätze abgebaut werden.

Trotz aller Kritikpunkte stellt das Gesetz den ersten ernstzunehmenden Versuch dar, die US-amerikanische ­Arbeitsgesetzgebung, die ihre Wurzeln in den dreißiger Jahren hat, endlich an die Bedingungen des 21. Jahrhundert und die Digitalwirtschaft anzupassen. Davon betroffen sind voraussichtlich Hunderttausende von Beschäftigten, nicht nur im Hightech-Sektor. Auch LKW-Fahrer, Krankenpfleger, Kosmetiker und viele andere haben von nun an einen Anspruch auf Mindestlohn, Bezahlung für Überstunden und Arbeitslosenversicherung.

Kalifornien hofft auf neue Steuereinnahmen von schätzungsweise sieben Milliarden US-Dollar im Jahr. Die Gewerkschaften hoffen auf neue Mitglieder, denn amtlichen Schätzungen zufolge waren in Kalifornien im Jahr 2016 etwa 8,5 Prozent aller Arbeitnehmer als unabhängige Vertragspartner eingestuft. Die Debatte begann bereits im Jahre 2004, als der Kurierdienst Dynamex seine Angestellten in Kalifornien plötzlich als unabhängige Vertragspartner klassifizierte und ihnen damit finanzielle Leistungen und rechtlichen Schutz entzog. Es kam zu einer Klage, die jahrelang in verschiedenen Instanzen verhandelt wurde und im April vorigen Jahres vom Obersten Gericht Kaliforniens im Sinne der Kläger entschieden wurde.
AB5 ist die Antwort der Gesetzgebung auf das Urteil. Doch es muss sich erst zeigen, ob das Gesetz überhaupt durchsetzbar ist, denn es ist sicherlich kein leichtes Unterfangen, wesentliche Teile der kalifornischen Wirtschaft, immerhin die fünftgrößte der Welt, mal eben umzustrukturieren. So entsenden nun die großen Tech-Konzerne ihre Lobbyisten nach Sacramento, um mit dem Gouverneur Kaliforniens, Gavin Newsom, Ausnahmeregelungen auszuhandeln. Das Pokern fängt also gerade erst an.