Obwohl die Linkspartei in Thüringen stärkste Partei werden dürfte, sind ihre Aussichten düster

Siechtum oder Spaltung

Nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen und vor der Wahl in Thüringen stellt sich mehr denn je die Frage nach Strategie und Zukunft der Linkspartei.

Die Partei »Die Linke« steht vor einem Pyrrhussieg: Ministerpräsident Bodo Ramelow dürfte die Landtagswahl in Thüringen am 27. Oktober vermutlich gewinnen. In Umfragen führt er mit seiner Partei, zudem ist Ramelow der beliebteste Politiker des Landes. Allerdings dürfte die seit 2014 regierende rot-rot-grüne Koalition keine Mehrheit mehr bekommen. Selbst eine völlig unwahrscheinliche, nun ja, Volksfront aus Linkspartei und CDU könnte eine Mehrheit verpassen. Ramelow muss sich wohl auf eine Minderheitsregierung einstellen. Da aber der Haushalt für 2020 bereits beschlossen ist, könnte er nahezu bruchlos weitermachen.

Ramelow ist beliebt, seine Partei nicht so sehr. In Thüringen zeichnet sich eine ähnliche Situation ab wie in Sachsen und Brandenburg: eine polarisierende Wahl, bei der viele, die die AfD weiter blockieren und ausgrenzen wollen, sich am demokratischen Pol der Macht orientieren, also an der jeweils größten Regierungspartei und ihrem Ministerpräsidenten. Ramelow dürfte, wie zuvor Dietmar Woidke (SPD) in Brandenburg und Michael Kretschmer (CDU) in Sachsen, als AfD-Verhinderer gewählt werden. Dass er auch noch ein Politiker der Linkspartei ist, ist fast egal. Sein absehbarer taktischer Sieg ändert aber nichts an der strategischen Ratlosigkeit der Partei »Die Linke«.

Die strategische Ratlosigkeit ist mit zwei Namen verknüpft: Katja Kipping und Sahra Wagenknecht. Sie stehen für die zwei großen Flügel der Partei, die sich immer weniger verständigen können. Kipping repräsentiert die eher auf die großen Städte und Westdeutschland ausgerichtete Linke, sie vertritt Bürgerrechtspositionen, eine Moral der Antidiskriminierung und träumt von einer Regenbogenkoalition der neuen sozialen Bewegungen. Man kann diese Position als linksgrün bezeichnen.

Wagenknecht dagegen kämpft für eine national ausgerichtete soziale Marktwirtschaft mit starken Gewerkschaften, hohen Mindestlöhnen und ohne die Zwangsmaßnahmen von Hartz IV. In diese soziale Marktwirtschaft sollen die Ostdeutschen endlich auf Augenhöhe integriert werden, ihre identitären Befindlichkeiten sind wichtiger als die Forderung nach offenen Grenzen. Wagenknechts Position ist »altsozialdemokratisch« mit stark nationalem Akzent. Auch wenn der ehemalige Parteivorsitzende Gregor Gysi nach jeder verlorenen Wahl händeringend dazu auffordert, sind beide Seiten nicht zu versöhnen.

 

Der Flügelkampf endete bislang stets paradox: mit einer Niederlage beider Flügel. Der Kipping-Flügel muss regis­trieren, dass der Zuspruch des urbanen grünen Milieus weit geringer ausfällt als erhofft, in der Klimastreikbewegung spielt die Partei keine Rolle. Wagenknecht hat gerade das krachende Scheitern ihrer sogenannten Sammlungsbewegung »Aufstehen« hinter sich. Schon nach wenigen Wochen war klar, dass »Aufstehen« kaum über demokratische Strukturen verfügte und vor allem zur innerparteilichen Profilierung Wagenknechts dienen sollte. Die Aktivisten reagierten verstimmt. Dass Kipping sich vorläufig gegen Wagenknecht durchgesetzt hat, liegt am gesundheitsbedingten Rückzug der Letzteren. Ratlos, wie es nach den Wahlen in Sachsen und Brandenburg weitergehen soll, bei denen keine Partei so viele Wählerstimmen verlor wie die Linkspartei, sind beide Flügel.
Das verweist auf das gesellschaftspolitische Problem der Linkspartei.

Es besteht in der Art der Auseinandersetzung mit der AfD. Als vor einem Jahr an der ersten »Unteilbar«-Demonstration in Berlin nach Veranstalterangaben bis zu 250 000 Menschen teilnahmen, wurde dieses Ereignis als Wende im Kampf gegen den Trend nach rechts in Politik und Kultur gefeiert. Es bedeutete aber auch eine Niederlage für jede ­eigenständige sozialistische Position. Sinn und Zweck von »Unteilbar« ist bekanntlich, dass jeder mitmachen darf und soll, der sich gegen die AfD und die brachiale Politik von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) richtet. Die Bewegung lebt nicht für ein Ziel, sondern von der Abgrenzung – und davon, sich selbst zu zelebrieren. In dieser sentimentalen Feier des Bunten, der Offenheit und Toleranz gehen sozialistische Forderungen unter, sie sind bloß noch Teil eines fröhlichen Pluralismus.

Davon profitieren die Grünen, die behaupten, hohe moralische Standards mit politischem Pragmatismus ganz lässig verbinden zu können. Sie verkaufen Politik als Lifestyle, und wenn man den richtigen Lifestyle hat, ist der ökologische Umbau der Gesellschaft nur noch eine Frage des guten Willens; er soll niemandem weh tun. Für sozialistische Politik ist diese narzisstische Mobilisierung der urbanen Jugend und der aufgeschlossenen Mittelschicht Gift. Denn anstatt die Spaltung der Gesellschaft zu beklagen, geht diese Politik von objektiv unversöhnlichen Interessen in dieser Gesellschaft aus: Die Prekarisierten und Ausgegrenzten, die aus den Städten Verdrängten und Ausgebeuteten müssten sich ihrer Interessen bewusst werden und sie gegen die der Besitzenden durchsetzen. Sozialistische Klassenpolitik will spalten, nicht versöhnen.

Ratlos, wie es nach den Wahlen in Sachsen und Brandenburg weitergehen soll, sind beide Flügel der Linkspartei.

Sicher, die Positionen von Wagenknecht und Kipping sind weit von originär sozialistischen entfernt. Aber ganz entkoppelt von dieser Tradition sind auch sie nicht. Immer dann, wenn jemand aus der Partei sich aus der Deckung wagt und deutlicher wird, also beispielsweise konkrete Eingriffe in den Wohnungs- oder Arbeitsmarkt zugunsten der Besitzlosen vorschlägt, ist der mediale und politische Sturm der Entrüstung riesig. Man konnte das zuletzt an den Reaktionen auf die Pläne zur Mietpreisdeckelung von Katrin Lompscher sehen, der Berliner Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen von der Linkspartei. Die große Koalition der Entsetzten reichte bis in die Taz hinein.

Die Lage der Partei ist vertrackt: Bleibt sie im Fahrwasser von »Unteilbar«, verliert sie weiter an Profil und wird zu einem Anhängsel der Grünen und vielleicht auch einer erneuerten SPD. Profiliert sie sich eindeutig sozialistisch, droht ihr ein medialer Feldzug, die Marginalisierung im Parlament und mehr noch der Verlust angestammter Wählerschichten. Denn sozialistische Positionen sind letztlich nicht mit Identitätspolitik vereinbar. Dass Lompschers Vorhaben nicht mal besonders sozialistisch ist – sie will den Markt regulieren und eben nicht abschaffen –, macht es noch vertrackter: In der Öffentlichkeit dürfte jemand, der tatsächlich sozialistisch argumentiert, als unverständlich oder unrealistisch abgekanzelt werden.

Bundesweite Umfragen sahen die Partei »Die Linke« zuletzt konstant bei etwa sieben Prozent. Sie ist damit gleichauf mit der FDP, die aber den Vorteil hat, eine stabile Klassenposition zu vertreten (nur eben die einer anderen Klasse). Gut möglich, dass der Linkspartei ein langes Siechtum bevorsteht. Im schlimmsten Fall bindet sie dann Energie und Engagement, die an anderer Stelle besser zum Einsatz kämen.