Über das Verhältnis von Antizionismus und Antisemitismus

Antizionismus und Antisemitismus

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Die dritte Version des jüdischen Antizionismus nimmt sowohl religiöse als auch politische Formen an. Das religiöse Argument dient auch als Erklärung für die langen Jahre der Diaspora: Die Juden sind aus dieser Sicht zu gut für die Staatlichkeit; die Politik der Souveränität erfordert eine Härte und ­Brutalität, die besser für die heidnischen Nationen geeignet sind. Die Juden, ­geprägt vom sinaiischen Bund und von einer langen Geschichte der Enteignung und Verfolgung, sollten nicht versuchen, die Heiden nachzuahmen. Man könnte dies als philosemitische ehre bezeichnen; die einzige Schwierigkeit ist, dass sie keine empirische Grundlage hat. Schon vor 1948 überlebten die Juden als Nation in meist feindseliger Umgebung, indem sie alle ­notwendigen politischen Mittel einsetzten, oft mit großem Geschick.

Die politische Version dieses Arguments ist nicht viel besser: Sie besagt, dass die Jahre der Staatenlosigkeit die Juden zu den ersten Kosmopoliten gemacht hätten. Sie seien in der Tat eine Nation, aber eine postwestfälische. Vor allen anderen hätten sie den Nationalstaat überwunden. Der Zionismus gilt hier als eine Regression vom Universalismus der Diaspora.

Aber die zionistische Errungenschaft, der Staat Israel, ist eine endgültige Widerlegung dieser Darstellung des Judentums. Sie offenbart Weltoffenheit als Programm einiger Juden, nicht als Beschreibung aller Juden. Und ­warum sollte dies ein Programm nur oder vor allem für die Juden sein? Selbst wenn einige Juden Kosmopoliten sein wollen – ein Licht für die Nationen oder, besser gesagt, ein Licht gegen die Nationen –, warum bestehen so viele nichtjüdische Linke darauf, dass alle Juden diese Rolle übernehmen, anstatt sie für sich in Anspruch zu nehmen? Ich kann mir bessere Kandidaten für eine postwestfälische Politik vorstellen. Sollen doch die Franzosen den Nationalstaat überwinden; schließlich haben sie das ganze Geschäft mit der levée en masse von 1793, der Marseillaise, der ersten Nationalhymne, der Tricolore, der ersten Nationalflagge, und all den revolutionären Schwüren begonnen. Oder die Deutschen, oder die Dänen, oder die Polen, oder die Chinesen.