Der lange Kampf der Sinti und Roma

Emanzipation statt Ethnokitsch

Erst Ende der siebziger Jahre fanden die Organisationen der Sinti und Roma allmählich Gehör in Deutschland. Es brauchte dafür Hungerstreiks und Archivbesetzungen.

Tausende Menschen versammelten sich zu der Veranstaltung zum Gedenken an die ermordeten Sinti und Roma. Es war die erste dieser Art überhaupt auf dem ehemaligen Lagergelände des Konzentrationslagers Bergen-Belsen. Man schrieb den 27. Oktober 1979. Damals stellte die nationalsozialistische Vernichtungspolitik gegen die europäischen Sinti und Roma bestenfalls eine vernachlässigte Randnotiz in der deutschen Erinnerungspolitik dar. Bis weit in die Zeit der neu gegründeten Bundesrepublik hinein galten die Ausgrenzung und Deportation von Sinti und Roma während des Nationalsozialismus weithin als eine legitime Form der Kriminalprävention.

In einem skandalträchtigen Urteil des Bundesgerichtshofs befanden die Richter 1956 allen Ernstes, dass Sinti und Roma »zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und Betrügereien« neigten, ihnen darüber hinaus »vielfach die sittlichen Antriebe der Achtung vor fremdem Eigentum« fehlten, »weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist«. Schuldabwehr und projektive Verkehrung kennzeichnen dieses Urteil – als wolle man davon ­ablenken, wessen »ungehemmter Okkupationstrieb« nur wenige Jahre ­vorher ganz Europa mit Krieg und Vernichtung überzogen hatte.

Unter der Losung »In Auschwitz vergast, bis heute verfolgt« fand der Aufruf des Verbands deutscher Sinti, der Internationalen Romani-Union und der Gesellschaft für bedrohte Völker viel Unterstützung insbesondere bei linken, friedensbewegten und jüdischen Organisationen. Diese neuen Allianzen waren von erheblicher strategischer Bedeutung für die entstehende Bürgerrechtsbewegung, schließlich ergaben sich hieraus vielfältige Kontakte zu Parteien, den Kirchen und anderen gesellschaftlich bedeutsamen Gruppen.

»Man hat mich gefragt, warum ich heute nach Bergen-Belsen gekommen sei«, berichtete Simone Veil in ihrer Rede über Irritationen, die ihr Besuch bei der Gedenkveranstaltung ausgelöst hatte. Noch vor ihrem offiziellen Antrittsbesuch in Bonn sprach die frisch gewählte Präsidentin des Europäischen Parlaments, die selbst in Bergen-Belsen von den britischen Streitkräften befreit worden war, den überlebenden Sinti und Roma ihre uneingeschränkte Solidarität aus: »Wie kann man sich vorstellen, dass ich nicht hier unter Ihnen sein würde, wenn Sie mich darum gebeten haben, hier meine Stimme der Ihrigen hinzuzufügen, wenn man weiß, dass wir zusammen gelitten haben, dass wir zusammen unsere Toten beweint haben, die in den Krematorien verbrannt wurden?«