Der lange Kampf der Sinti und Roma

Emanzipation statt Ethnokitsch

Seite 3 – Hungerstreik und Anerkennung

Eine weitere spektakuläre Aktion fand Ostern 1980 auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers ­Dachau statt. Ein Dutzend Sinti, unter ihnen der Boxer und ehemalige Häftling Jakob Bamberger, traten dort in einen unbefristeten Hungerstreik, der ­internationale Aufmerksamkeit erregte. Der Grund war, wie der Verband deutscher Sinti in einer Pressemitteilung schrieb, dass »die ›Zigeunerpolizeileitstelle München‹, die 1938 mit ihrem Aktenbestand dem Reichssicherheitshauptamt in Berlin angegliedert wurde«, auch nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft weiterwirkte und bis in die siebziger Jahre die ethnische Sondererfassung der gesamten Minderheit betrieb. Die Mitarbeiter der nach 1945 in »Landfahrerzentrale« umbenannten Abteilung der bayerischen Polizei erstellten auf Basis von Akten aus der Zeit des Nationalsozialismus diffamierende Gutachten, die der Abwehr von Entschädigungsansprüchen dienen sollten. Viele ehema­lige Schreibtischtäter der Kriminalpolizei, die an Deportationen oder deren Planung beteiligt waren, stiegen im Verwaltungsapparat Nachkriegsdeutschlands zu Experten auf, die über die Entschädigungsanträge von Sinti und Roma gutachterlich urteilten.

Anfang der achtziger Jahre verschaffte sich der Verband deutscher Sinti um Romani Rose gegen fortwährenden Widerstand aus Politik, öffentlicher Meinung und Wissenschaft mittels öffentlichen Drucks Gehör. Nachdem im Spätsommer 1981 das Tübinger Universitätsarchiv besetzt worden war, um die Herausgabe des Archivmaterials der Rassenhygienischen Forschungsstelle an das Bundesarchiv in Koblenz zu erzwingen, lud die deutsche Bundesregierung kurz darauf den neugegründeten Zentralrat Deutscher Sinti und Roma zu einem offiziellen Gespräch ein. Am 17. März 1982 verkündete Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), dass den Sinti und Roma von der nationalsozialistischen Diktatur »schweres Unrecht zugefügt worden« sei. »Diese Verbrechen haben den Tatbestand des Völkermords erfüllt.« Dieser symbolisch sehr bedeutungsvolle Satz zog allerdings zunächst keine ­unmittelbaren finanziellen Konsequenzen nach sich. Eine kollektive Entschädigung von Roma mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit war nicht vorgesehen – daran hat sich bis heute nichts geändert.