Die Band Chastity Belt ist sehr erwachsen

Ihre Version von Feminismus

Eine Band wird erwachsen: Chastity Belt legen nach kurzer Pause ein neues Album vor, auf dem sie sich nicht mehr hinter Humor verstecken.

Er ist eine Weile her, der Sommer von 2008. »Everything was heavier«, singt Julia Shapiro im ruhigen Eröffnungsstück des neuen Albums ihrer Band Chastity Belt, das den Bandnamen auch als Titel trägt. »It was clear then, the sea before a storm / Now there’s a thick fog around everything I learn /And I just kill time by dread­ing everything /But in that moment, life felt significant.« Ein Jahrzehnt liegt zwischen diesem Sommer mit den, wie es im Text weiter heißt, zerkratzten CDs im Auto der Eltern auf unendlicher Fahrt in den Süden und dem Grau von heute. Man fragt sich – gerade weil man es doch so gut nachvollziehen kann –, ob es die Menschen oder die Zeiten sind, die sich geändert haben. Nun, nicht zu viel reininterpretieren, entgegnet Julia Shapiro lachend im Gespräch mit der Jungle World. »Nur Nostalgie«, ein letzter Sommer als Teenager, bevor es losging mit dem Erwachsensein.

»Feminismus ist wichtig für mich, aber es wird nervig, wenn das das Einzige ist, worüber Leute mit mir sprechen wollen.«

Erwachsensein bedeutet für Sha­piro nicht zuletzt, mit ihrer Band Musik zu machen. Und dass Chastity Belt bald ein Jahrzehnt existieren wird, hatte wohl niemand erwartet. Begonnen hat die Geschichte der Band nämlich schlicht als College-Gag im Städtchen Walla Walla im US-Bundesstaat Washington – als Fake-Band der Freundinnen Shapiro, ­Lydia Lund, Annie Truscott und Gretchen Grimm. Denn sie wollten Punk-Attitüde performen und sich danebenbenehmen, dort, wo der Unialltag besonders ätzend ist, in den frat houses, den Häusern von Studentenverbindungen. Drei Jahre vergingen noch, bis Shapiro für ein ­Promo-Foto mit einem rohen Steak als Keuschheitsgürtel posierte, der der Band den Namen gibt. 2013 erschien »No Regrets«, ein manisches Album, eine Explosion von Spaß und Punk und Riot, das mit deftigen Songtiteln wie »Giant (Vagina)«, »Nip Slip« und »Pussy Weed Beer« aufwartete.

Es fällt schwer, in dem im September erschienenen vierten Album »Chastity Belt« die Gruppe von damals wiederzuerkennen. Anders klingen sie, doch schwerer will man es nicht nennen. Vielleicht passt die Beschreibung »erwachsener« besser. Entstanden ist das Album nach einer Phase der Selbstreflexion, wie Julia Shapiro erzählt. »Wir sind auf Tour beinahe ausgebrannt. Wir waren seit 2012 eigentlich ununterbrochen unterwegs. Wir mussten sehen, was es noch für Sachen gibt, abseits der Band. Chastity Belt hat so sehr bestimmt, wer wir sind, eigentlich seit wir erwachsen sind.«

 

Also nahm sich die Band im vergangenen Jahr eine längere Pause, ging auseinander, ohne genau zu wissen, was danach passieren würde. »Wir haben so lange gemacht, was von uns erwartet wurde. Es hat ein wenig gedauert, bis uns aufgefallen ist, dass es uns nicht mehr so viel Spaß gemacht hat, dass wir es nicht mehr aus den richtig Gründen tun. Wir haben ein bisschen den Bezug dazu verloren, warum wir ursprünglich mal Musik gemacht haben«, sagt Shapiro. »Chas­tity Belt hat sich wie eine Maschine angefühlt. Die Indus­trie ist hart. Es gibt Menschen, die für uns arbeiten, für die wir auch Verantwortung tragen. Aber wir mussten lernen, die Sache wieder weniger ernst zu nehmen. Wie am Anfang, als nicht absehbar war, was sich aus der Band entwickeln würde.«

Shapiro selbst musste sich einer lange geplanten Operation unterziehen – nutzte die Zeit aber auch, ein Soloalbum zu veröffentlichen. Auf »Perfect Version«, das im Juni erschien, beschäftigte sie sich mit der Absurdität des Spätkapitalismus sowie mit der Zerstörungskraft der Selbstliebe. Sich um sich selbst zu kümmern, kann anstrengend sein, wenn dazu gehört, Musik zu machen, also bedeutet Selbstliebe für Shapiro auch, noch einmal ein bisschen tiefer einzusteigen in die harte Industrie – kein richtiges Leben im falschen, denn: »Das ist doch genau, was ich mag: das Aufnehmen und das Schreiben!«

Auch die Band fand bereits nach kurzer Zeit wieder zusammen, um gemeinsam aufzunehmen – der vermutlich kürzeste indefinite hiatus der jüngeren Popgeschichte. Eigentlich musste nicht einmal darüber geredet werden, ob Chastity Belt wieder existieren. »Die Dynamik ist die gleiche, aber wir wollen jetzt mehr darauf achten, dass alle sich wohl fühlen. Wir müssen nichts tun, was wir nicht tun wollen. Aber was wir am liebsten tun, ist trotzdem, zusammen Musik zu machen«.

Die Musik hat sich allerdings nicht erst durch die Pause gewandelt, sondern bereits vorher, auf dem dritten Album, »I Used to Spend So Much Time Alone«, das 2017 erschien. Damals wie heute ist der Sound getragen, aber dennoch drängend. Er hat an Tiefe gewonnen – und das meint nicht das Niveau, sondern tatsächlich den Klang, die Arrangements, die Produktion.

Bis zum neuen Album habe man sich beim Aufnehmen eher gehetzt, erzählt Shapiro, diesmal fühlten die vier sich aber im Studio wohl und ließen sich Zeit. »Chastity Belt« umgibt das Flair von DIY-Indie der Neunziger und Emocore, aber Cello, Trompete und Piano geben wichtige Texturen zu den verzerrten Akkorden, die immer wieder zäh kleben wie der Teer der Straßen der Roadtrips aus Teenagerzeiten. Da ist aber auch die helle Stimme von ­Shapiro, die trotz des Gewichts der Musik zu schweben scheint.

 

»Je älter wir werden, desto langsamer wird die Musik, die wir mögen – Ausbrüche, das haben wir schon oft genug gemacht«, lacht sie. »Wir sind selbstbewusster, wir müssen uns nicht mehr hinter dem Humor verstecken. Man kann eine lustige Person sein und dennoch ernste Musik machen. Das ist einfach die Musik, die ich selbst am liebsten höre. Ich möchte von Musik bewegt werden. Ich möchte die Emotionen, die Traurigkeit.«

Der veränderte Sound der Gruppe ist auch externen Faktoren geschuldet – der schlechten Angewohnheit des Musikjournalismus etwa, jeder Band nur ein Thema zuzugestehen, und bei einer Band, die aus vier Frauen besteht, liegt dieses Thema scheinbar auf der Hand. »Ich wurde einfach müde, immer nur über die zwei Songs zu sprechen, die offensiv feministisch waren. Es sind so viele andere Sachen auf den ersten beiden Alben«, erklärt Shapiro. »Feminismus ist wichtig für mich, aber es wird nervig, wenn das das Einzige ist, ­worüber Leute mit mir sprechen wollen. Das ist es nicht allein, was uns auszeichnet. Darum haben wir das irgendwann vermieden. Denn das ist meine Version von Feminismus: dass ich das einfach nicht tun muss.«

So gesehen hat sich dann doch nicht viel verändert: Chastity Belt machen Musik zu ihren Bedingungen, ob als College-Scherz oder als Alltagsbeobachtung aus der Postadoleszenz, ob sie nun Gender-Klischees auf­brechen oder eigene Zweifel zugeben. Im Video zum melancholischen ­Opener »Ann’s Jam« begleitet man vier Freundinnen, die Gruppe, zu ­einem Ausflug, ein See am Fuß der Kaskadenkette, Spaghetti und Schlauchboot inklusive. Trotz der wehmütigen Erinnerungen an den Sommer 2008 – überspringt das Stück das graue Heute beinahe und folgt dem jugendlichen Optimismus. »This is a start«, endet das Lied, »And it’ll go on/And we’ll feel the same way.«

Chastity Belt: Chastity Belt (Sub Pop)