Soziologe Diego Alejandro Restrepo Osorio über Gewalt gegen politische Aktivisten in Kolumbien

»300 ermordete Aktivisten seit 2016«

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Interview Von

Im Zusammenhang mit diesen Gruppen wird oft von »Dissidenten« gesprochen.
Hier muss ich erst einmal klarstellen, dass es sich nicht um Dissidenten im eigentlichen Sinne handelt. Das heißt, es handelt sich nicht um eine politische Abspaltung der ursprünglichen Guerilla Farc. Wir beobachten, dass ­diese Gruppen zwar einige soziale und politische Forderungen formulieren, aber wenn man sich ihre konkreten Aktionen ansieht, stellt man fest, dass sie nicht versuchen, den Staat zu destabilisieren – was ja eine aufständische Gruppe auszeichnen würde. Im Gegenteil: Sie konzentrieren sich in erster ­Linie auf den Drogenhandel und die Erpressung von Schutzgeldern. Aus ­unserer Sicht sind ihre Interessen in erster Linie ökonomischer Natur – also kapitalistisch.

Ende August kündigte eine Gruppe ehemaliger Farc-Anführer rund um die ehemalige Nummer zwei der Guerilla, Iván Márquez, ihre Rückkehr zum bewaffneten Kampf an. Im Gegensatz zu den erwähnten Splittergruppen begründet Márquez diesen Schritt politisch. Was bedeutet das für den Friedensprozess?
Dabei handelt es sich um einen kleinen Teil der ehemaligen Guerilla Farc, der immer schon Vorbehalte gegen die Verwirklichung des Friedensabkommens hatte, besonders auch gegen die Regierungen von Juan Manuel Santos und mittlerweile Iván Duque, die bestimmte Abmachungen aus dem Abkommen wiederholt missachtet haben. Aber die Ankündigung von Márquez wird nicht dazu führen, dass sich eine einheitliche Gruppe bildet. Was wir sehen, sind vielmehr Anführer ohne Guerilla. Es fehlt einfach auch ein gesellschaftlicher Kontext, der dafür geeignet wäre, die Gewalt als politisches Mittel zu ­legitimieren.

Das heißt, aus Ihrer Sicht handelt es sich bei der Bewegung von Iván Márquez in erster Linie um eine ­politische, obwohl einigen seiner Mitstreiter, etwa dem ehemaligen Farc-Kommandanten Jesús Santrich, ebenfalls Verbindungen zum Drogenhandel vorgeworfen werden?
Ja. Diese Personen, die sich vom Friedensvertrag losgesagt haben, den sie selbst unterzeichnet hatten, haben eine individuelle Entscheidung getroffen. Es gibt Punkte, wie ihre Verwicklungen in den Drogenhandel, über die wir zu wenig wissen. Aber unabhängig davon haben sie einen Schritt angekündigt, der den Friedensprozess erschwert: Personen, die in Kuba den Friedensvertrag mitverhandelt haben, haben den schwierigen Weg der Friedensschaffung ­verlassen. Aber wir glauben, dass die ­Bewegung eher einen politisch-argumentativen Charakter hat als einen praktischen. Für Letzteres gibt es bislang keine Anzeichen.