Neurechte Denk­fabriken des Terrors

Mörderischer Mythos

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Der Mythos eines geplanten Bevölkerungsaustausch hat indessen eine ­besondere ideologische Funktion: Die real erfahrene Ersetzbarkeit von Einzelnen innerhalb der kapitalistischen Konkurrenzordnung wird nach außen gewendet und als Bedrohung durch Fremde imaginiert. Eine fixe, ausschließende »Identität« soll Sicherheit und Halt geben und verspricht ein vorpolitisch begründetes Recht auf gesellschaftliche Teilhabe. Diese Vorstellung einer unverbrüchlichen Identität kann als regressive Abwehrreaktion innerhalb des krisenhaften Prozesses kapitalistischer Subjektwerdung verstanden werden. Man bezieht sich auf ein völkisches Untergangsszenario, dem zufolge man die »letzte Genera­tion« sei, die den »Großen Austausch« noch aufhalten könne. Die extreme Rechte präsentiert sich als rettende, erlösende Kraft, aus der heraus aber dennoch der »unbewusste Wunsch nach Unheil, nach Katastrophe« spricht, den Theodor W. Adorno schon im historischen Faschismus und seinen ­Mythen wirken sah.

Im Bild des in die Ecke Getriebenen, des »Ausharrenden auf verlorenem Posten«, offenbart sich die inhärente Gewalttätigkeit dieser rassistischen und antisemitischen Erzählung. Um den drohenden »Untergang des Volks«, ja des gesamten Abendlandes aufzuhalten, ist jedes Mittel legitim. Doch man stellt sich nicht nur gegen die befürchtete Grenzverwischung, sondern auch gegen jene Kräfte, die man hinter diesen Prozessen vermutet. Der Grenzverwischer par excellence ist die antisemitische Projektion des Juden, der »die Völker« angeblich ­entwurzeln will, da er selbst nirgendwo verwurzelt ist und hinterlistig, ver­borgen und konspirativ eine ungeheure, machtvolle internationale Verschwörung anführt. Dass jüdische Einrichtungen immer wieder Ziele von rechts­terroritischen Attentätern sind, wie zuletzt in Pittsburgh oder eben in Halle, ist da nicht verwunderlich.

Von der FPÖ und AfD als parlamentarischem Arm der Bewegung über Rechtsterroristen bis hin zu den aktivistischen Identitären: Sie glauben der rassistischen und antisemitischen Metaerzählung. Die Morde von Halle führen erneut vor Augen, wie gefährlich sie ist. Es ist gegenwärtig so gut wie unmöglich zu sagen, wann, wo und gegen wen der Terror sich wieder richten wird. Und auch wenn Sellner es sehr eilig hatte, sich vom Angriff in Halle zu distanzieren: Er und seine Mitstreitenden tragen auch künftig eine Mitverantwortung, wenn es zu Angriffen auf Moscheen, Flüchtlingsunterkünfte, Synagogen oder linke Zentren kommen sollte. Umso entschlossener sollten Antifaschistinnen und Antifaschisten gegen die Denkfabriken des Terrors, das Haus der Identitären in Halle und das IfS in Schnellroda vorgehen. Denn von dort wird die mörderische Ideologie verbreitet. Vor allem müssen sie jene Kräfte wie die Kampagne »Identitäre stoppen« in Halle unterstützen, die ­bereits an Ort und Stelle den Kampf führen.