Der »Islamische Staat« in Syrien

»Der IS lebt noch«

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Interview Von

Wie weit ist al-Hul von dem Gebiet entfernt, in das die türkischen Truppen und ihre Verbündeten eingedrungen sind?
Das Lager ist vier Stunden entfernt von der Grenze. Bevor dieser Konflikt mit der Türkei wieder ausgebrochen ist, gab es dort zum einen die Camp-Polizei, die das Camp bewacht hat. Ganz in der Nähe des Camps gab es außerdem noch zwei oder drei Stützpunkte der YPG, also Militär. Das Militär haben die Kurden abgezogen und zur Grenze verlegt. Zurzeit sind dort nur noch die etwa 300 Polizisten im Einsatz, die in einem Schichtsystem arbeiten. Es halten also nie mehr als 80 Polizisten auf einmal Wache.

Mit so wenig Personal könnte man doch niemals einen Massenausbruch von 10 000 bis 20 000 Menschen aufhalten.
Die Camp-Polizisten würden einem wahrscheinlich etwas anderes sagen, aber faktisch hätten sie schlechte Karten. In den vergangenen Wochen gab es im Annex bereits einen Aufstand, nachdem dort eine Leiche gefunden worden war. IS-Leute bringen sich auch immer wieder gegenseitig um, meistens wegen Glaubensstreitig­keiten. Die getötete Person wurde mutmaßlich von einem IS-Geheimgericht abgeurteilt. Die Polizei hat dann eine Razzia gemacht, das löste einen Krawall im Annex und auch im restlichen Lager aus. Wenn der Konflik zwischen den YPG und der Türkei weitergeht, dann werden die Leute aus al-Hul vermutlich irgendwann versuchen, aus dem Lager zu entkommen.

Würden sie dann wieder den Kampf aufnehmen?
Nicht alle im Lager würden Waffen aufnehmen. Es sind ja hauptsächlich Familien. Es heißt immer, es kämen dann Zehntausende IS-Kämpfer raus. Das stimmt so nicht. Aber falls die ­IS-Kämpfer und ihre Familien wirklich raus wollen, denke ich nicht, dass sie zu halten sind.

Wie sieht es in anderen Camps aus?
Ain Issa ist ein Camp relativ nah an der Grenze. Es liegt zwischen Kobanê und Manbij. Es kam unter Beschuss, da sind IS-Leute abgehauen. Es ist zurzeit schwer, solche Informationen zu verifizieren.
 


Tobias Buckler ist Notfallsanitäter. Seit 2014 arbeitet er regelmäßig in den zumeist in den kurdischen Gebieten Syriens und im Irak für verschiedene Nichtregierungsorganisationen. Mit der »Jungle World« sprach er über die Situation im Flüchtlingslager al-Hul im Nordosten Syriens, wo sich derzeit mehrere Tausend internationale und syrische Kämpfer des Islamischen Staats zusammen mit ihren Familien befinden.