Eine Handreichung zur Integration

Deutsch mich nicht voll

Klugscheißen bleibt deutsch. Als unser britischer Autor nach Berlin zog, erklärten ihm die Deutschen alles – ob er wollte oder nicht. Inzwischen hat er eigene Erfahrungen gesammelt.

Autoindustrie 
Die Amis lieben ihre Waffen, die Deutschen ihre Spritfresser. Nichts löst so viel Hass aus wie der Begriff »Tempolimit«, und das, obwohl Hitler eigentlich ja die Autobahnen gebaut hat. Wie Panzer rollen SUVs durch die Innenstädte – Tendenz steigend. Und ob Dieselskandal oder Klimakatastrophe, nichts kann diesen Motorfetisch dämpfen.

Bielefeld
Die Deutschen erzählen gerne Witze. Richtige Spaßvögel sind sie. Einer der beliebtesten ist, die Existenz einer mittelgroßen Stadt in Nordrhein-Westfalen zu leugnen. Von wegen humorlos!

CDYOU
Die Christlich Demokratische Union Deutschlands ist eine Partei so bereit für die Digitalisierung wie Deutschland selbst. Sie ist eine Partei, die auf den millionenfach geklickten Video-Verriss eines Youtubers mit der Ankündigung eines Antwortvideos von Phi­lipp Amthor reagierte, das mit dem Satz beginnt: »Hey Rezo, du alter Zerstörer«. Das Video wurde nicht veröffentlicht und die Partei antwortete lieber in Form eines elfseitigen PDF-Dokuments. Deutsche Bürokratie halt. Stark.

Deutschland-Fahne
Spätestens seit dem »Sommermärchen« 2006 darf das Schwarzrotgold wieder mit Stolz geschwenkt werden. Abgesehen davon, dass es einfach nur gelb und nicht gold ist, und auch davon, dass diese Farbauswahl ein ästhetisches Verbrechen gegen die Menschheit darstellt, sagt dieses Phänomen sehr viel über ein Land, das sich einfach nur danach sehnt, auf etwas stolz zu sein.

Emissionen
Deutschland ist heutzutage so mächtig wie seit 1942 nicht mehr. Es brauchte aber eine moralische Legitimation, um diese neue Macht vor den Augen der Weltöffentlichkeit auszuüben. Im Zuge der großen Ökobewegungen eigneten sich Politikerinnen und Politiker einen neuen hegemonialen Wert an: Umweltfreundlichkeit. Ein Problem ist aber, dass Deutschlands Wirtschaft von einer energieintensiven Exportindustrie abhängig ist und so viel Braunkohle verbrennt wie keine andere. Was tun also? Am besten Sachen sagen wie »Der Markt wird schon eine Lösung finden« oder »Mondays for Economy«.

 

Fristen
Egal, wie wichtig oder unwichtig eine Sache ist: unbedingt eine Frist setzen. Das kommt hier im Bürokratieland gut an. Aber umgekehrt darf man Fristen auf gar keinen Fall selbst vergessen. Denn eine einzige verpasste Frist könnte dein ganzes Leben ficken.

Geiz ist geil 
In Deutschland wird alles nach seinem Marktwert beurteilt. Man denkt sich süße Begriffe wie »Sparfuchs« aus und erzählt vom Urlaub nur, wie preiswert oder teuer alles war – und gerne auch, wie man den Dörfler in einem Entwicklungsland noch um 50 Cent herunterhandelte. Schnäppchen!

Heimat 
Vaterland darf man heutzutage nicht mehr sagen. Da passt der Begriff »Heimat« wie Arsch auf Eimer – oder wie Horst Seehofer ins Heimatministerium, von wo aus er gern abschiebt, Deutschland abschottet und Diskussionen über die Frage führt, wie deutsch der Islam ist. Früher nur ein rechtsextremer Kampfbegriff, genießt »Heimat« zurzeit eine Renaissance – und avancierte zum Lieblingswort des politischen Mainstreams.

Indianer
Als Kind wird man als kleiner Indianer in die Kita geschickt, als Mittzwanziger fährt man mit Federschmuck auf ein Technofestival und als Opa liest man die guten, alten Winnetou-Romane wieder: Der Indianerenthusiasmus in Deutschland ist riesig. Und mit »Indianern« ist übrigens die Urbevölkerung Amerikas gemeint, es geht nicht um Menschen aus Indien.

Jammerossi
Nur ein Besserwessi wäre so unverschämt, sich einen Begriff wie diesen auszudenken. Dabei kennt Meckerei keine Grenzen in Deutschland. Auch darin sind die Kartoffeln Weltmeister.

 

Kleingartenkolonie
Der Deutsche ist gerne Herr seines eigenen 300 Quadratmeter großen Reiches. Hier kann er seine deutsche Trikolore hissen (ob in Bundes- oder Reichsfarben), mit seinen Gartenzwergen spielen und ein totes Tier auf einem offenen Feuer verbrennen. Oder wie man das hierzulande nennt: »grillen«. Der Schrebergarten ist dem Deutschen der Himmel auf Erden.

Lüftungspolitik
Bist du Stoßlüfter oder Fensterkipper? Egal, du wirst in jedem Büro oder Seminarraum viele Feinde haben. Denn Lüften ist ein heiß umkämpftes Thema in Deutschland. Und Luftzug ist angeblich der Grund, warum du krank bist. In Korea ist der Aberglaube »Ventilatortod« weitverbreitet. Klingt absurd? Ja, eben.

Mallorca
Das 17. Bundesland ist als Reiseziel beliebter denn je – auch unter deutschen Rechtsextremen. Aber auch wenn Malle nur einmal im Jahr ist, ist das zweimal zu viel. Scheiß drauf.

Nazis
Am liebsten »besorgte Bürger« nennen. Oder »Protestwähler«. Denn Nazis gab es schon mal und darf es nie wieder geben. Also müssen diese faschistisch gesinnten Mitbürger wohl etwas anderes sein.

Ostalgie
Manche Wessis flippen aus, nur weil einige Ossis immer noch gerne Spreewaldgurken snacken und ihre Kindheit nicht komplett scheiße finden. Regt euch ab!

 

Polizei
Angriffslustige Robocops, die selten mit Konsequenzen rechnen müssen: Amnesty International kritisiert seit Jahren strukturelle Polizeigewalt in Deutschland. Man muss kein Rechtsextremer sein, um verbeamtet zu werden – aber es hilft!

Quark
Germania, ein Symbolaufstrich. Es ist das deutscheste aller Milchprodukte: geschmacklich langweilig und körperlich gesund. Wie Rosa Luxemburg sagte: Revolution ist großartig, alles andere ist Quark.

Regeln
Alles ist verboten, nichts erlaubt und überall hängt eine Hausordnung. Aber der eigentliche Spaß besteht darin, anderen Bürgerinnen und Bürgern nochmal die Regeln zu germansplainen. Man könnte zum Beispiel beim einzigen Nachbarn im Haus mit einem nichtdeutschen Namen klingeln und ihm zur Sicherheit erklären, wie man hierzulande den Müll richtig trennt. Wäre nicht das erste Mal.

Spargel
Margarete Stokowski nannte ihn das privilegierteste Gemüse Deutschlands und erntete einen regelrechten Shitstorm. Sie hat aber recht: Der Spargelkult ist eine quasireligiöse Praxis im Land. Dass es sogar Spargelköniginnen gibt, bringt diese Fetischisierung echt auf ein anderes Level.

Tag der Befreiung
Befreit wurden beispielsweise die Juden. Oder Teile Frankreichs. Oder Polen. Aber in Deutschland tut man gerne, als wäre man nicht besiegt worden. Opfer-Täter-Umkehr eben.

 

Urlaub
Lange schafften es 80 Millionen Deutsche, mehr für ihre Urlaube auszugeben als 300 Millionen US-Amerikanerinnen und -Amerikaner oder eine Milliarde Chinesinnen und Chinesen, und waren somit Reiseweltmeister. Seit 2012 muss die Bundesrepublik sich mit dem zweiten Platz hinter China zufriedengeben. Trotzdem kolonialisieren sie die Welt weiter – mit einer reservierten Liege neben der anderen.

Verfassungsschutz
Andere Länder haben spannende Geheimdienste wie die MI6, die CIA oder den Mossad. Deutschland nicht. James Bond hätte niemals ein Agent des deutschen Verfassungsschutzes sein können. Uwe Mundlos schon.

Weltmeister
Deutsche wollen immer die besten sein, sie gewinnen ja gerne – egal, ob es um Export oder Fußball geht. Sie ­sehen sich sogar gerne als Gedenkweltmeister. Mutig.

Xavier Naidoo
Deutschland suchte den Superstar – und wurde mit Xavier Naidoo fündig. Der Reichsbürger mit dem Hang zu antisemitischem Verschwörungsgeraune durfte Deutschland sogar fast beim ESC vertreten. Die Absage seiner Teilnahme löste eine Welle der Solidarität unter deutschen Promis aus. Von wegen »nie wieder«.

Yoga
2,6 Millionen Deutsche praktizieren die spirituelle Gymnastikart regelmäßig. Sie suchen nach Sinn in einem sinnlosen Universum. Wichtiger als die Übungen selbst aber ist, dass du ständig allen erzählst, dass du Yoga machst. Denn Yoga ist ein Statushobby. Und der Traum jeder gutbürgerlichen Frau unter 40 mit Burn-out von ihrem Start-up-Job ist es, eine Yogalehrerausbildung in einem indischen Ashram zu machen.

Zubehör
Deutsche kaufen sich gerne übertrieben viele Accessoires. Fährst du zum Beispiel gelegentlich Rad? Dann unbedingt möglichst schnell eine Bike-Brille, ­Regenhose, Radnavi, Arschrakete (ja, die gibt’s), Hundeanhänger und wetterdichte Schuhüberzieher anschaffen. Ansonsten kannst du es gleich vergessen. Denn Ausstattung ist alles.