Prozess gegen SS-Wachmann

Handlanger der Vernichtung

Als SS-Wachmann soll Bruno D. im Vernichtungslager Stutthof geholfen haben, mehr als 5.000 Menschen zu ermorden. Vor Gericht bedauert er vor allem sich selbst.

Unbekleidet habe Judy Meisel mit ihrer Mutter in einer Menschenschlange gestanden. Die Frauen und Mädchen sollten angeblich zur Dusche geführt werden. Tatsächlich habe die SS sie in Richtung Gaskammer getrieben. Als ein Wachmann die Tochter zurück zur Schlafbaracke gerufen habe, habe die Mutter sie gedrängt, zu gehen. Das 14jährige Mädchen sei losgerannt. Judy Meisel überlebte das nahe Danzig errichtete Konzentrations- und Vernichtungslager Stutthof, ihre Mutter Mina Beker wurde ermordet.

»Es wird Aufgabe dieses Prozesses sein, herauszufinden, ob es für den Angeklagten eine Alternative gegeben hätte.«

Der Nebenklagevertreter Cornelius Nestler erzählt die Geschichte seiner Mandantin vor Gericht. Die in Litauen geborene US-Amerikanerin ist eine der insgesamt 33 Nebenklägerinnen und Nebenkläger im Verfahren gegen Bruno D. Der frühere SS-Wachmann muss sich seit Donnerstag voriger Woche wegen Beihilfe zum Mord in 5 230 Fällen vor dem Landgericht Hamburg verantworten. Überlebende und Angehörige von Ermordeten aus den USA, Polen, Israel, Litauen, England, Australien und Kanada sind wegen ihres hohen Alters nicht angereist, lassen sich aber von 16 Anwälten vertreten.

»Für mich war es wichtig, dass jemand von unserer Familie für meine Urgroßmutter, die in der Gaskammer in Stutthof ermordet wurde, im Gerichtssaal anwesend ist«, sagt Judy Meisels Enkel Ben Cohen aus New York im Gespräch mit der Jungle World. Weil seine 90jährige Großmutter aus Altersgründen nicht hier sein könne, sei er da. »Wäre der Prozess vor fünf Jahren oder früher geführt worden, hätte sie noch selbst dem Angeklagten in die Augen schauen können«, so Cohen. Seine Großmutter und ihre Mitgefangenen in der Baracke hätten sich gegenseitig versprochen, der Welt von dieser Hölle zu berichten, falls sie überleben sollten. »Für sie ist es deshalb sehr wichtig und eine Form der Gerechtigkeit, ihre Geschichte zu erzählen und verstanden zu werden, damit Menschen die Chance haben, aus unserer Familiengeschichte zu lernen«, sagt Cohen.

Der Angeklagte Bruno D., wenige Jahre älter als Judy Meisel, erhielt im Sommer 1944 nach einer militärischen Grundausbildung den Marschbefehl zum KZ Stutthof. Er soll dort nach Angaben der Hamburger Staatsanwaltschaft zwischen August 1944 und April 1945 als SS-Wachmann »die heim­tückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt haben«. Die Staatsanwaltschaftssprecherin Nana Frombach sagte: »Es wird Aufgabe dieses Prozesses sein, herauszufinden, ob es für den Angeklagten eine Alternative gegeben hätte.« Die Staatsanwaltschaft gehe davon aus, dass es möglich war, sich dem Dienst zu entziehen. Ihr sei kein Fall bekannt, in dem etwa ein Wachmann, der den Dienst verweigert hatte, getötet worden wäre, so Frombach.