Nicht nur die USA, sondern auch die EU-Staaten haben im Syrien-Krieg katastrophal versagt

Rette sich, wer kann

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Die von der Türkei nach vorn geschickten syrischen Milizen bestehen zum Teil aus mafiös geprägten Söldnern, die bereits seit Anfang 2018 die Region Afrin durch willkürliche Gewaltakte, Schutzgelderpressungen und Plünderungen zur Hölle machen. Und zum Teil handelt es sich um Jihadisten. Im Internet kursieren mehrere Videos, in denen mit der Türkei verbündete Kämpfer davon schwärmen, Ungläubigen die Kehle durchzuschneiden. Das Rojava Information Center will unter den türkisch finanzierten Milizen 40 ehemalige IS-Kämpfer ausgemacht haben. Viele Menschen in der Region befürchten, dass mit der türkischen Offensive der genozidale Furor des IS zurückkehrt, dessen Niederschlagung die SDF nach eigenen Angaben 11 000 Menschenleben gekostet hat.

Dass sich die PYD-Regierung angesichts des US-Abzugs und der türkischen Offensive hilfesuchend an das Assad-Regime und Russland wendet, war vorhersehbar. Entsprechende Verhandlungen liefen längst. Bereits zu Beginn des Bürgerkriegs verdankte sich die Stabilität der Region der Tatsache, dass die syrischen Anhänger des in der Türkei inhaftierten PKK-Gründers Abdullah Öcalan nicht den Sturz der Assad-Diktatur erkämpfen, sondern die Selbstverwaltung im Nordosten Syriens durchsetzen wollten. Ein früher Pakt zwischen PYD und dem Regime sorgte dafür, dass Assad der Region seinen Fassbombenterror ersparte, um ihn anderswo umso intensiver auszuüben, zum Beispiel in Idlib, wo die syrische und die russische Luftwaffe derzeit fast jeden Tag bei gezielten Angriffen auf Märkte, Krankenhäuser, Wohnviertel oder Schulen Zivilistinnen und Zivilisten töten – ohne dass hierzulande groß Notiz davon genommen wird.

Viele jener Syrer, die seit 2011 gegen die Assad-Diktatur revoltierten und deshalb über Jahre belagert und bombardiert wurden – oder es noch immer werden –, hegen wenig Sympathie für die PYD und deren Sympathisierende im Westen. Das liegt nicht nur an der Aufmerksamkeitskonkurrenz oder am weitverbreiteten arabischen Chauvinismus: Im Kriegsverlauf kam es immer wieder zu punktuellen Kämpfen zwischen den kurdischen YPG (den von der PYD gegründeten Volkverteidigungseinheiten) und oppositionellen Milizen – von denen viele schon lange der Türkei sehr nahe standen. Und mehrmals kam es zu punktuellen Kollaborationen zwischen der YPG und dem Regime, etwa bei der Belagerung der Zivilbevölkerung Ost-Aleppos 2016.

Für die PYD beziehungsweise die YPG waren diese Kooperationen bislang meist vorteilhaft. Ob der von der PYD mit dem Assad-Regime und Russland gesuchte Kompromiss allerdings auch diesmal profitabel ist, ist zweifelhaft. Während die PYD noch hofft, das Regime und Russland könnten rein militärisch intervenieren und nur die Türkei auf Abstand halten, gehen viele an­dere Beobachter davon aus, dass die Vereinbarung einer Kapitulation gleichkommen wird. Druckmittel hat die PYD so gut wie keine.