Nicht nur die USA, sondern auch die EU-Staaten haben im Syrien-Krieg katastrophal versagt

Rette sich, wer kann

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»Das Assad-Regime hat einen totalitären Charakter: Es nimmt entweder alles oder nichts«, fürchtet etwa M., ein Mitarbeiter eines von der deutsch-syrischen Initiative »Adopt a Revolution« unterstützten zivilgesellschaftlichen Projekts aus der grenznahen Stadt Derik, der seinen Namen aus guten Gründen nicht nennen will. Wie viele fürchtet er, dass Assads Geheimdienste in die Region zurückkehren. »Ich werde vom Regime gesucht«, sagt er der Jungle World. Er glaube nicht an Versprechen oder Garantien des Regimes. In Dar’ā seien Menschen nach der Übereinkunft mit dem Regime und trotz russischer Garantien verschwunden und gefoltert worden. Gerade zivile Aktivisten wie M., die sich als Gegner der Assad-Diktatur verstehen und auch die PYD für ihre ausgeprägten autoritären Tendenzen kritisieren, müssen fürchten, in den Foltergefängnissen des Regimes zu landen, in denen bereits Zehntausende Syrer verschwanden.

»Vor 2011 hatten wir uns irgendwie an die Unterdrückung gewöhnt«, sagt A., eine Aktivistin aus Qamishli, der Jungle World, »aber dank der Selbstverwaltung hatten wir ein gewisses Maß an Freiheit.« Sich wieder an einen Zustand zu gewöhnen, in dem jedes Wort gefährlich werden kann, kann sie sich kaum vorstellen. »Wenn das Regime kommt, dann wird es Verhaftungen geben. Auf den Kanälen des Regimes wird immer noch von »terroristischen Milizen der SDF« gesprochen. Wenn sie uns so sehen, wie soll das werden?«

Assads Kämpfer freuen sich in Videostatements darauf, in Raqqa »Verräter« zu zertreten. Und während in Deir ez-Zor Menschen mit US-Flaggen gegen Assad auf die Straße gehen, versehen manche Zivilisten aus Qamishli vorsorglich ihr Facebook-Profil mit der Flagge des Regimes. Manch einer feiert bei Ras al-Ain die Türken als Befreier. Nicht immer ist der Jubel am Straßenrand oder in den sozialen Netzwerken politisch zu verstehen. Manchmal gilt schlicht: Rette sich wer kann; wenn Panzer durchs Dorf fahren, schwenke deren Fähnchen.

Das alles hätte man der BevölkerungNordsyriens ersparen können. Seit Trumps Amtsantritt war klar, dass er die US-Truppen zurückziehen will. Im Juli bat die US-Regierung die Bundesrepublik ausdrücklich, die USA mit Bodentruppen abzulösen. Aber das wurde hierzulande nie ernsthaft diskutiert, auch nicht von den zahlreichen Freunden Rojavas. Eine solche Diskussion wäre wohl zu stark mit ihrem linken Selbstverständnis und ihren romantisierenden Projektionen auf die Kurden kollidiert.