Warum Nazis in Deutschland morden können

Wenn der Staat nicht will

Seite 3

Doch ganz so einsam sind diese »Wölfe« nicht. Der Attentäter von Halle verbrachte viele Stunden in Online-Foren. Dort fiel er den Ermittlern offenbar nicht auf, für die 4chan und andere Boards noch immer fremdes Terrain zu sein scheinen.

Terroristen wie der Attentäter von Halle werden auch nicht durch einen bösartigen Gendefekt zu Mördern. Sie wissen, dass sie nicht alleine sind und es viele gibt, die sie für ihre Taten bewundern. Spätestens nachdem in den Jahren nach 2015 die Zahl der Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte gestiegen war, war den Behörden bekannt, dass es ein kommunikatives Umfeld gibt, das den Tätern den Glauben vermittelt, sie handelten in seinem Namen. Dem Terrorakt geht voraus, dass der Täter eben nicht das Gefühl hat, ein »einsamer Wolf« zu sein, sondern sich als bewaffneten Arm vieler sieht, als den, der den Mut hat, das zu tun,wovon ­andere nur reden.

Wenn es um Juden und Israel geht, können Täter wie der von Halle zudem davon ausgehen, dass nicht wenige seinen Plan, möglichst viele Juden in einer Synagoge zu ermorden, gut finden. Neonazis marschieren mit Parolen wie »Anne Frank war magerkrank« und »Wer Deutschland liebt, ist Antisemit« durch die Straßen. Wolfgang Gedeon, vom Internationalen Auschwitz-Komitee als »ein bekennender Judenhasser« bezeichnet, sitzt in Baden-Württemberg für die AfD im Landtag. Der Dortmunder Neonazi Michael Brück betrieb jahrelang unter einer italienischen IP einen Online-Shop mit der Webadresse antisem.it. Auf dem Höhepunkt des Kampfes gegen die RAF hätte der Staat nicht gezögert, den »Sympathisantensumpf« trockenzulegen, wie es damals in Anlehnung an Mao Zedongs Partisanentheorie (»Der Revolutionär schwimmt im Volk wie ein Fisch im Wasser«) hieß. Ob die brachialen Methoden, derer sich der Staat gegen die RAF bediente, im Kampf gegen den Rechtsterrorismus sinnvoll sind, ist eine andere Frage. Doch macht man die Bereitschaft, hart und entschlossen durchzugreifen, zum Maßstab, bleibt nur festzustellen: Der Staat handelt im Kampf gegen den Rechtsterrorismus nicht mit aller Entschlossenheit.