Antifa-Sticker im Bundestag

Mehr Toleranz für Nazis

Es gibt eine direkte Verbindung von der linken Antifa zum rechten Terror. Sie führt durch das Gehirn von Wolfgang Kubicki.
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Es ist wieder geschehen: ein heimtückisches Attentat auf die Meinungsfreiheit in diesem Land! Und fast hätte es niemand mitbekommen, wären da nicht die tapferen Antiantifaschisten in AfD, FDP, Werte-Union und den Redaktionen der Springer-Presse, die jederzeit bereit sind, für die demokratischen Grundrechte ins Feld zu ziehen. Na ja, vielleicht nicht für die Gleichberechtigung der Geschlechter sowie von Menschen unterschiedlicher Herkunft oder Hautfarbe, die Freiheit des Glaubens oder gar das Asylrecht. Aber immerhin die Meinungsfreiheit liegt ihnen am Herzen – sofern es um ihre Meinung geht.

Wenn hingegen Martina Renner, Abgeordnete der Linkspartei, ihre antifaschistische Gesinnung im Bundestag mittels eines Ansteckers kenntlich macht, wird sie dafür vom Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki (FDP) gerügt, denn, so Kubicki auf seiner Facebook-Seite: »Nicht jeder Antifaschist ist ein Demokrat und schon gar nicht ein Verteidiger des Grundgesetzes.« Klingt als Begründung bizarr, darf man aber meinen. Man darf auch meinen, dass die Antifa ein straff organisierter terroristischer Geheimbund sei, ja, man dürfte sogar meinen, dass sie von Reptiloiden aus der Hohlerde ferngesteuert werden. Schwierig wird es, wenn man hinter ihr einen geheimen jüdischen Weltkontrollrat vermutet.

Was die Stahlhelmgarde der Meinungsfreiheit derzeit zur ­Atta­cke treibt, sind Proteste gegen wirtschaftswissenschaftliche Vorlesungen des ehemaligen AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke an der Universität Hamburg, ein von dieser ausgesprochenes Auftrittsverbot für den FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner und eine von linken Demonstranten verhinderte Lesung des ehemaligen Bundesministers Thomas de Maizière (CDU) in Göttingen. Gut, die Absage an Lindner hatte mit Meinungsfreiheit rein gar nichts zu tun, nur mit internen Regeln der Universität, die parteipolitische Veranstaltungen verbieten. Aber da sind ja noch die fiesen Attacken des linken Mobs auf Lucke und de Maizière. Der Tenor der Reaktionen ließe sich abermals mit Kubicki auf den Punkt bringen: »Wollen wir als Demokraten in unserem Rechtsstaat akzeptieren, dass linke Gewalt eher toleriert wird als rechte?« Das fragte sich der Vizevorsitzende der FDP nicht erst kürzlich, sondern in einem nach dem Mord an Walter Lübcke (CDU) veröffentlichten Gastbeitrag für die FAZ.

Die Frage mag seltsam erscheinen, da Lübcke ja nun von einem Nazi erschossen wurde, doch schon damals ging es Kubicki um einen angeblichen Angriff auf die Meinungsfreiheit, genauer: eine Äußerung des ehemali­gen CDU-Generalsekretärs Peter Tauber (CDU), der in einem Gastbeitrag für die Welt geschrieben hatte: »Die politische Rechte kann man nicht integrieren oder einbinden.« Den viel radikaleren Angriff auf die Meinungsfreiheit, nämlich Lübcke für einen asyl­bewerberfreundlichen Satz zu erschießen, fand Kubicki offenbar weniger bedrohlich.

Vergleicht man die Situationen, zeigt sich, dass solche Debatten einem klaren Muster folgen: Am Anfang steht eine brachiale rechtsextreme Gewalttat (im aktuellen Fall der Angriff auf die ­Synagoge in Halle), die zwar nicht der AfD, aber doch dem sich noch irgendwie bürgerlich definierenden Teil des rechten Randes kurzzeitig ein unangenehm berührtes Schweigen aufnötigt. Dies führt dann in teils affektiver, teils kalkulierter Schuldumkehr, quasi reflexartig dazu, mehr Toleranz für rechtes Gedankengut zu ­fordern, wie es etwa der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck nach dem Mord an Lübcke tat, beziehungsweise alsbald linke ­Proteste der rechten Mordtat gleichzusetzen, indem man sie wegen angeblich faschistischer Methoden geißelt. So oder ähnlich äußerten sich in den vergangenen Wochen unter anderem diverse Vertreter von CDU und CSU, Journalisten von Bild, Welt, Focus und­Cicero sowie die Oberste Heeresleitung beim Kampf um die Meinungsfreiheit: Wolfgang Kubicki. »Wir müssen bezweifeln, dass diejenigen, die Bernd Lucke in Hamburg an seiner Vorlesung hinderten, ihn schubsten und als Nazischwein beleidigten, seine Menschenwürde achteten«, sagte Kubicki am Mittwoch voriger Woche im Bundestag. Die Abgeordneten müssten »dafür Sorge tragen, dass der Meinungskorridor nicht weiter eingeengt wird, sondern offen bleibt«. 

Ob es sinnvoll ist, gegen Auftritte von längst auf Mikrobenmaß zurechtgestutzten Politrentnern zu mobilisieren, ja, ob es nicht eher das Problem der Zuhörer ist, wenn sie sich de Maizières öde Auslassungen zum »guten Regieren« antun möchten, oder aber das Problem der Hamburger Universität, wenn sie Lucke noch immer für eine ökonomische Leuchte hält, sei dahingestellt. Interessanter ist, dass die daraus resultierende Debatte deutlich zeigt, wie weit rechts viele Vertreter des sich selbst als bürgerlich ettikierenden Milieus stehen, wenn sie sich Nazimördern und -hetzern offenbar näher fühlen als protestierenden Studenten.