Politisch korrekte Filmkritik

Vorsicht, Realität!

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Dabei gilt »Diversity« als eigenständiges Qualitätsmerkmal, als Ausweis für die gute Gesinnung der Filmschaffenden, hinter der notfalls auch die Plausibilität der Handlung zurückzutreten hat. Die Werke werden somit zum Medium, an dem exemplarisch gezeigt werden soll, wie makellose Vielfalt auszusehen hat. Grotesk wird es, wenn Kinofilmen, die sich an realhistorische Ereignisse anlehnen, vorgeworfen wird, sie zeigten keine Minderheiten, so geschehen mit Quentin Tarrantinos »Once Upon a Time … in Hollywood«. Der Film wurde umstandslos als Streifen über alte, weiße Männer für alte, weiße Männer etikettiert, womit klar gesagt sein sollte, dass man es mit einem schlechten, geradezu abstoßenden Film zu tun habe. 

Wo bleiben hier die Minderheiten? Leonardo DiCaprio in »Once Upon a Time in Hollywood«.

Bild:
SONY PICTURES ENTERTAINMENT DEUTSCHLAND GMBH

Im Zweifel kann stets der Bechdel-Test bemüht werden, der nach der angemessenen Repräsentation weiblicher Charaktere fragt. Den Test besteht ein Film, wenn in ihm mindestens zwei Frauenfiguren vorkommen, die sich miteinander unterhalten, ohne dabei nur über einen Mann zu reden. In regelmäßigen Abständen entrüsten sich Filmkritiker dann über die hohe Anzahl vermeintlich sexistischer Filme, die den Bechdel-Test nicht bestanden hätten. Dass solch vereinfachende Konzepte die innere Struktur der Filme gar nicht erfassen, scheint nebensächlich: Allein die Zeit und der Ort einer Handlung können gute Gründe liefern, warum ein Film keine oder wenige nicht miteinander interagierende Frauenfiguren hat. Ginge es nach dem »Bechdel-Test«, wären auch Klassiker wie »Apocalypse Now«, »Psycho«, »2001 – Odyssee im Weltraum« und »Star Wars« hochproblematische Filme, während sexistische Streifen nur möglichst viele Smalltalk führende Frauenfiguren benötigten, um als genderkorrekt zu gelten. 

Die Frage nach der Repräsentation stellt allerdings nicht das einzige ­interessegeleitete Missverständnis der belehrenden Filmkritik dar. Auch die Unterstellung, Filme machten sich mit dem Gezeigten gemein, zeitigt zuweilen bizarre Ergebnisse. Als im vergangenen September der Horrorfilm »Es: Kapitel 2« von Andy Muschietti anlief, der in einer Szene explizite Gewalt gegen ein homo­sexuelles Paar zeigt, dauerte es nicht lange, bis man dem Regisseur in den sozialen Netzwerken vorwarf, durch die Darstellung einer homophoben Gewalttat den Schwulenhass zu befördern. Mittlerweile ist es zwar relativ verbreitet, dass auf vermeintliche Trigger in Filmen hingewiesen wird, also auf Szenen, die beim Zuschauer bestimmte Impulse auslösen oder an Traumata rühren könnten. Neu ist allerdings, dass die sogenannten Trigger-Szenen der Böswilligkeit der Filmemacher zugeschrieben werden.

Trigger-Warnungen münden zudem oft in rigide Zensurforderungen. Kürzlich gab Netflix beispielsweise bekannt, eine explizite Selbstmordszene aus der 2016 erschienenen Erfolgsserie »13 Reasons Why« zu streichen, da sie immer wieder Kritik an einer angeblichen Glorifizierung des Suizids heraufbeschworen habe. Dabei ging es in der Teenager-Serie genau darum: den Selbstmord von Jugendlichen. Eine Produktion, die den Zuschauer für so manipulierbar hält, dass sie sich buchstäblich selbst beschneidet, betreibt letzlich die Entmündigung des Publikums. 

All diese Spielarten einer konstruktiven Filmkritik übernehmen gewissermaßen die Funktion früherer reaktionärer Anwürfe gegen miss­liebige Werke: Appelierte man vormals an die Angst vor dem sittlichen Verfall, wenn zu viel nackte Haut oder Blut gezeigt wurden, ist es heutzutage die Abwehr politisch nicht korrekter Darstellungen. Weil diese das sich Einrichten in der eigenen Wohlfühlblase behindern, gelten sie als verwerflich.