Sammelabschiebungen in den Balkan

Abschiebung ins Elend

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Vom Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden, von dem auch die Schwestern abgeschoben wurden, starten mehrmals im Monat Sammelabschiebeflüge in die Länder des westlichen Balkans. Von 2012 bis 2019 wurden etwa 9 000 Menschen aus ganz Süddeutschland über diesen Flughafen abgeschoben, ein Drittel davon waren Minderjährige. Unter den Betroffenen sind viele Roma. Der Fall der Schwestern mag besonders krass erscheinen, allerdings kommt es immer wieder vor, dass Menschen ­abgeschoben werden, die seit über zwei Jahrzehnten in Deutschland leben oder sogar hier geboren wurden. Viele, die in den neunziger Jahren vor den Jugoslawien-Kriegen flüchteten, leben noch immer mit prekären Aufenthaltstiteln in Deutschland und sind daher von Abschiebung bedroht. Geht man in Pristina, der Hauptstadt des Kosovo, in ein Café, kommt es häufig vor, dass man von Menschen Anfang 20 bedient wird, die perfekt Deutsch sprechen; die Wahrscheinlichkeit, dass sie aus Deutschland abgeschoben wurden, ist groß.

Die Zahl der Abschiebungen vom Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden ist seit 2014 stark gestiegen. Damals wurden Bosnien und Herzegowina, Serbien und Mazedonien zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten erklärt; 2015 folgten Albanien, der Kosovo und Montenegro. Ohne die Stimmen des damals grün-rot regierten Baden-­Württemberg im Bundesrat wäre diese Einstufung nicht möglich gewesen. Für Geflüchtete aus den Westbalkanstaaten ist es damit fast unmöglich ­geworden, in Deutschland Asyl zu erhalten, da rechtlich prinzipiell davon ausgegangen wird, dass keine Fluchtgründe vorliegen. Antirassistische Initiativen kritisieren, dass das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten das individuelle Recht auf Asyl untergrabe. Der Situation vor Ort wird es ohnehin nicht gerecht. Insbesondere Roma sind in den Westbalkanstaaten erheblicher Diskriminierung ausgesetzt. So kommt es im Kosovo immer wieder zu gewaltsamen Angriffen auf Angehörige von Minderheiten, in Bosnien-Herzegownia haben Roma und Juden kein passives Wahlrecht.

Um auf diese Situation und die Abschiebungen vom Flughafen Karlsruhe/ Baden-Baden aufmerksam zu machen, hatte das »Antirassistische Netzwerk Baden-Württemberg« für den 26. Oktober zu einem Aktionstag am »Flughafen der Unerwünschten« aufgerufen. An dem Protest beteiligten sich etwa 50 Personen. Sie forderten das Ende der Sammelabschiebungen und ein individuelles Recht auf Asyl, das Fluchtgründe ernst nimmt. Auch einer der Brüder der Tahiri-Schwestern sprach auf der Kundgebung. Sebastian Bremer von »Aktion Bleiberecht« erklärte die geringe Beteiligung damit, dass antirassistische Gruppen derzeit nur ein sehr kleines Mobilisierungspotential hätten. Das Thema sei kaum mehr ­positiv besetzt, in den vergangenen Jahren habe eine Diskursverschiebung stattgefunden, für die die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten ausschlaggebend war. »Wir schieben Leute in ­sichere Herkunftsstaaten ab – das sagt sich eben ganz anders als: Wir schieben sie ins Elend ab«, sagte Bremer der Jungle World.

Dass eine Abschiebung stets ein gewaltsamer Akt ist, wird dabei leicht vergessen; ebenso die Tatsache, dass Deutschland eine historische Verantwortung gegenüber Roma hat. Ihnen hier Asyl zu gewähren, wäre ein kleiner Beitrag. Die rechtlichen Möglichkeiten gibt es, der politische Wille, sie zu nutzen, fehlt jedoch.