Sammelabschiebungen in den Balkan

Abschiebung ins Elend

Seit die Westbalkanländer vor wenigen Jahren als sogenannte sichere Herkunftsstaaten eingestuft wurden, sind allein über den Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden etwa 9.000 Menschen dorthin abgeschoben worden.

Gylten und Gylije Tahiri stehen an einer Straße in Belgrad, im Hintergrund sind Müllcontainer und eine Tankstelle zu sehen. »Wir wurden aus Deutschland abgeschoben in ein fremdes Land. Männer verfolgen uns, Hunde rennen uns hinterher«, sagt Gylten Tahiri. Dann bricht sie in Tränen aus und ihre jüngere Schwester spricht weiter: »Wir wissen nicht mehr wohin, keiner hilft uns.« Das Handyvideo, das die »Aktion Bleiberecht« publiziert hat, ist ein verzweifelter Hilferuf zweier junger Romnija.

Die Zahl der Abschiebungen vom Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden ist seit 2014 stark gestiegen.

Die beiden Schwestern, 21 beziehungsweise 23 Jahre alt, wurden Ende September aus Tuttlingen in Baden-Württemberg nach Serbien abgeschoben – nachdem sie 20 Jahre in Deutschland gelebt hatten. Als Kleinkinder waren sie mit ihren Eltern vor dem Kosovo-Krieg geflohen und verbrachten fast ihr gesamtes Leben in Deutschland. Ihre Familie lebt noch dort. Abschiebungen in die Länder des ehemaligen Jugoslawien können zu besonderen rechtlichen Verwicklungen ­führen, da Betroffene häufig noch in Jugoslawien geboren wurden und nicht immer eindeutig ist, welcher Nachfolgestaat heute für sie zuständig ist. So auch im Fall der Tahiri-Schwestern: Sie wurden im Kosovo geboren, als dieser noch zu Jugoslawien gehörte. Mittlerweile ist der Kosovo jedoch ein unabhängiger Staat, der von der Bundesrepublik Deutschland anerkannt wird.

Dennoch wurden die Schwestern nach Serbien abgeschoben. Sie besaßen keine Pässe, da diese während des Kriegs verbrannt waren. Das stellt eigentlich ein Abschiebehindernis dar. Deutsche Behörden können jedoch recht kreativ werden. In diesem Fall stellten sie sogenannte Laissez-passer-Papiere aus. Diese ermöglichen die Abschiebung und eine einmalige Einreise nach Serbien, berechtigen jedoch nicht zum Aufenthalt, wodurch die Schwestern dort de facto papierlos sind.

Ihre Situation ist dramatisch. Walter Schlecht, der den Fall für die Gruppe »Aktion Bleiberecht« in Freiburg betreut, beschreibt sie im Gespräch mit der Jungle World so: »Sie können offiziell in kein Hotel, keine Wohnung anmieten, keine reguläre Arbeit aufnehmen, keine staatlichen Leistungen in Anspruch nehmen, sind nicht krankenversichert, können sich kein Geld schicken lassen und weiteres mehr. Dazu braucht es einen gültigen Reisepass.« Doch es sei sehr schwierig, einen solchen zu bekommen. Die Schwestern seien zudem noch nie in ihrem Leben in Serbien gewesen, sprächen die Sprache nicht und könnten die kyrillische Schrift nicht lesen. »Sie müssen jetzt in ihrer Recht­losigkeit einen komplizierten Prozess durchlaufen und versuchen, an alle notwendigen Papiere von Behörden zu kommen.« Nach Auskunft der NGO Caritas Srbije könne das Monate oder Jahre dauern; erste Versuche bei Behörden seien gescheitert, sagt Schlecht. Roma seien Caritas Srbije zufolge in solchen Verfahren stark benachteiligt.

Derzeit prüfen Unterstützerinnen und Unterstützer, ob es rechtliche Möglichkeiten gibt, die Abschiebung anzufechten. Das beschriebene Video und eine Petition, die die sofortige Wiedereinreise der beiden Frauen nach Deutschland fordert, haben dem Fall eine gewisse Aufmerksamkeit beschert. Damit ist er die Ausnahme, die meisten Abschiebungen gehen von der Öffentlichkeit unbemerkt vonstatten.

 

Vom Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden, von dem auch die Schwestern abgeschoben wurden, starten mehrmals im Monat Sammelabschiebeflüge in die Länder des westlichen Balkans. Von 2012 bis 2019 wurden etwa 9 000 Menschen aus ganz Süddeutschland über diesen Flughafen abgeschoben, ein Drittel davon waren Minderjährige. Unter den Betroffenen sind viele Roma. Der Fall der Schwestern mag besonders krass erscheinen, allerdings kommt es immer wieder vor, dass Menschen ­abgeschoben werden, die seit über zwei Jahrzehnten in Deutschland leben oder sogar hier geboren wurden. Viele, die in den neunziger Jahren vor den Jugoslawien-Kriegen flüchteten, leben noch immer mit prekären Aufenthaltstiteln in Deutschland und sind daher von Abschiebung bedroht. Geht man in Pristina, der Hauptstadt des Kosovo, in ein Café, kommt es häufig vor, dass man von Menschen Anfang 20 bedient wird, die perfekt Deutsch sprechen; die Wahrscheinlichkeit, dass sie aus Deutschland abgeschoben wurden, ist groß.

Die Zahl der Abschiebungen vom Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden ist seit 2014 stark gestiegen. Damals wurden Bosnien und Herzegowina, Serbien und Mazedonien zu sogenannten sicheren Herkunftsstaaten erklärt; 2015 folgten Albanien, der Kosovo und Montenegro. Ohne die Stimmen des damals grün-rot regierten Baden-­Württemberg im Bundesrat wäre diese Einstufung nicht möglich gewesen. Für Geflüchtete aus den Westbalkanstaaten ist es damit fast unmöglich ­geworden, in Deutschland Asyl zu erhalten, da rechtlich prinzipiell davon ausgegangen wird, dass keine Fluchtgründe vorliegen. Antirassistische Initiativen kritisieren, dass das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten das individuelle Recht auf Asyl untergrabe. Der Situation vor Ort wird es ohnehin nicht gerecht. Insbesondere Roma sind in den Westbalkanstaaten erheblicher Diskriminierung ausgesetzt. So kommt es im Kosovo immer wieder zu gewaltsamen Angriffen auf Angehörige von Minderheiten, in Bosnien-Herzegownia haben Roma und Juden kein passives Wahlrecht.

Um auf diese Situation und die Abschiebungen vom Flughafen Karlsruhe/ Baden-Baden aufmerksam zu machen, hatte das »Antirassistische Netzwerk Baden-Württemberg« für den 26. Oktober zu einem Aktionstag am »Flughafen der Unerwünschten« aufgerufen. An dem Protest beteiligten sich etwa 50 Personen. Sie forderten das Ende der Sammelabschiebungen und ein individuelles Recht auf Asyl, das Fluchtgründe ernst nimmt. Auch einer der Brüder der Tahiri-Schwestern sprach auf der Kundgebung. Sebastian Bremer von »Aktion Bleiberecht« erklärte die geringe Beteiligung damit, dass antirassistische Gruppen derzeit nur ein sehr kleines Mobilisierungspotential hätten. Das Thema sei kaum mehr ­positiv besetzt, in den vergangenen Jahren habe eine Diskursverschiebung stattgefunden, für die die Einstufung als sichere Herkunftsstaaten ausschlaggebend war. »Wir schieben Leute in ­sichere Herkunftsstaaten ab – das sagt sich eben ganz anders als: Wir schieben sie ins Elend ab«, sagte Bremer der Jungle World.

Dass eine Abschiebung stets ein gewaltsamer Akt ist, wird dabei leicht vergessen; ebenso die Tatsache, dass Deutschland eine historische Verantwortung gegenüber Roma hat. Ihnen hier Asyl zu gewähren, wäre ein kleiner Beitrag. Die rechtlichen Möglichkeiten gibt es, der politische Wille, sie zu nutzen, fehlt jedoch.