Endspurt zum SPD-Vorsitz

Auf zum letzten Gefecht

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Wie dramatisch das Ausmaß des Niedergangs ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Partei mittler­weile in drei Bundesländern (Bayern, Sachsen und Thüringen) mit einem Wählerstimmenanteil von weniger als zehn Prozent im Parlament sitzt, in zwei weiteren Ländern (Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg) erhielt sie nur knapp mehr als zehn Prozent der Stimmen. In sechs Landtagen (Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin) stellt die SPD immerhin noch die größte Fraktion. Doch in ebenfalls sechs Landesparlamenten rangiert sie nur auf dem dritten (Hessen), dem vierten (Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Thüringen) oder gar dem fünften Platz (Bayern, Sachsen).

Wenn die Partei in den kommenden Wochen die falschen Entscheidungen trifft, dürfte das das Ende als sogenannte Volkspartei zur Folge haben. Das heißt nicht, dass die SPD dann gänzlich verschwinden würde. Aber ihre Rolle wäre nur noch die einer von mehreren Kleinparteien, vielleicht noch als gefällige Mehrheitsbeschafferin wohl­gelitten, ansonsten jedoch weitgehend bedeutungslos. Insofern hat der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert Recht, wenn er die Wahl zwischen den Duos Scholz / Geywitz und Walter-Borjans / Esken als Richtungsentscheidung bezeichnet. Da die Krise der Sozial­demokratie zwar eine hausgemachte, aber keine ausschließlich deutsche ist, kann ein Blick über den Tellerrand hilfreich sein: Will die SPD wirklich so enden wie ihre jetzt schon margina­lisierten Schwesterparteien in Frankreich, Griechenland oder den Niederlanden? Oder steuert sie noch um, bevor es zu spät ist?

Scholz und Geywitz haben zwar das Parteiestablishment weitgehend auf ihrer Seite. Aber auch Walter-Borjans und Esken können sich einiger Unterstützung erfreuen, und zwar nicht nur der von den Jungsozialisten. Die beiden sind alles andere als radikale Linke. Zu früheren Zeiten wären sie wohl als »Zentristen« charakterisiert worden, ganz so wie einst Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Johannes Rau, dessen Regierungssprecher Walter-Borjans war. Von Rau stammt auch Walter-Borjans’ Lieblingszitat: »Wir müssen nicht nur die gewinnen, die Solidarität brauchen, sondern auch die, die Solidarität zu geben bereit sind.«

Ob es Walter-Borjans und Esken gelingen kann, die SPD aus ihrer tiefen Krise zu führen, ist ungewiss. Aber wenn die Partei überhaupt noch eine Chance haben will, dann werden sich ihre Mitglieder und anschließend der Bundesparteitag Anfang Dezember in Berlin für die beiden entscheiden müssen. Denn sie scheinen wenigstens eine Ahnung davon zu haben, worin die Krise ihrer Partei überhaupt begründet ist. »Uns ist die Glaubwürdigkeit abhandengekommen, dass die SPD es mit der Sozialdemokratie ernst meint«, schreiben die beiden in ihrer Bewerbung. Das trifft es eigentlich ganz gut.